Ohne Deutschland läuft nichts. Früher war man in Berlin auf diesen Satz stolz. Nun wird er zur Bürde: Euro-Staaten erwarten mehr Hilfe.
Brüssel. Die Krise ist nicht zu Ende. In der Eurozone liegen die Nerven blank. Und die Erwartungen an Deutschland, die größte Volkswirtschaft im Kreis der 17 Staaten mit der Gemeinschaftswährung, sind groß. Neu ist das nicht – aber mit jeder Abfuhr, die sich die Euro-Krisenmanager mit ihren diversen Anstrengungen auf den Finanzmärkten holen, wächst der Druck auf das politische Führungspersonal der Eurozone. Ganz besonders auf Deutschland.
„Wieso eigentlich erlaubt sich Deutschland den Luxus, andauernd Innenpolitik in Sachen Euro-Fragen zu machen?“ wetterte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Und das „Geschwätz“ über den Austritt Griechenlands aus der Eurozone sei auch nicht hilfreich. Er wolle kein Deutschland, „von dem man befürchtet, dass es sich isolieren könnte“, legte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im ARD-Fernsehen nach.
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EU-Diplomaten sehen in Junckers Worten, die in Berlin für teils heftigen Ärger sorgten, vor allem eine Warnung für die Zukunft, die erkennbar schwierig wird. Mitte September wird das Bundesverfassungsgericht über die Klage gegen den Rettungsfonds ESM und den Fiskalpakt entscheiden – zwei Kernelemente des Bemühens um eine Stabilisierung der gemeinsamen Währung. Bei den Partnern Deutschlands herrscht Nervosität: Niemand mag sich ausmalen, was passiert, falls Karlsruhe das Handeln der deutschen Regierung wesentlich erschweren sollte.
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Praktisch zum selben Zeitpunkt steht die Entscheidung über weitere Finanzhilfen für Griechenland an . Dabei geht es vor allem um die von Athen gewünschten Erleichterungen des Sparkurses, aber auch um die weiteren Strukturreformen, die nicht nur Deutschland, sondern auch die EU-Kommission vehement fordern. Kommissionspräsident José Manuel Barroso appellierte öffentlich an die griechische Regierung, mehr Reformen umzusetzen, um endlich die Strukturen wettbewerbsfähig zu machen: „Liefern, liefern, liefern!“ rief er den Verantwortlichen zu.
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Gleichzeitig mit dem Urteilsspruch in Karlsruhe wird auch in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt: Die Regierung der Niederlande, bisher gemeinsam mit den Finnen in den Euro-Krisenfragen oft im gleichen Lager wie Deutschland, könnte vom Wähler bei künftigen Rettungsaktionen Handschellen angelegt bekommen.
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Der Ausblick auf den düsteren September sorgt schon im Sommer, wenn auch Politiker eigentlich Pause machen wollen, für Unruhe. Dabei geht es vor allem um Spanien: Juncker ist ebenso wie beispielsweise Frankreichs Präsident François Hollande überzeugt, dass die Eurozone rasch handeln muss, um zu verhindern, dass Spanien unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen muss . Weitgehend unstrittig sind Hilfen für die Sanierung der Banken von bis zu 100 Milliarden Euro.
Umstritten ist hingegen ein Eingreifen der Euro-Rettungsfonds in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank: Hier geht es um den Ankauf von spanischen und möglicherweise auch italienischen Anleihen, um deren hohe Zinsen zu senken. Ein Geschäft, das nach Ansicht mancher Regierungen durch einen Beschluss der Staats- und Regierungschefs der Eurozone von Ende Juni abgedeckt ist. Nach Ansicht anderer, darunter auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann , ist jedoch sehr fraglich, ob sich die beiden Institutionen an der Finanzierung von Staaten durch Gelddrucken beteiligen dürfen.
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Aus der Sicht Junckers („Wir sind an einem entscheidenden Punkt angekommen“) ist Spanien ein noch ernsteres Problem als das vergleichsweise kleine Griechenland: Madrid müsse geholfen werden, ohne den Rettungsschirm die Staatsfinanzen zu sanieren. Falls Spanien dies nicht schaffe, gerate auch Italien unter den Druck der Märkte - und dies sei dann selbst von einem großen Rettungsschirm nicht mehr zu bewältigen. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren“, mahnt Juncker zum Thema Spanien.
Es ist die wachsende Angst, die derzeit für Aufregung sorgt. Nicht mehr „nur“ um eine Staatspleite, sondern vielmehr um den Fortbestand des Euros mit schwer vorhersehbaren wirtschaftlichen und möglicherweise katastrophalen politischen Folgen. Dabei sieht sich Juncker als Advokat von „mehr Ernsthaftigkeit“: Er verteidigte in seinem Interview sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Hollande : „Die einfachen Bilder bereichern vielleicht die innenpolitische Kulisse, sie sind aber falsch.“ Auch aus Berlin gab es Mahnungen zur verbalen Abrüstung – unter anderem von Außenminister Guido Westerwelle: „Unter keinen Umständen darf mit der Axt des schnellen Wortes eingerissen werden, was über Jahrzehnte lang in Europa aufgebaut wurde.“