Aufständische sollen mit Geld vom Schlachtfeld geholt werden. US-General David Petraeus sagt aber noch harte Kämpfe in Afghanistan voraus.
Hamburg. Der Begriff des asymmetrischen Krieges ist erst ein paar Jahrzehnte alt; das Prinzip dagegen Jahrtausende - der berühmte chinesische Stratege Sun Tsu hat es bereits um 500 vor Christus beschrieben. Doch in so dramatischer Gestalt wie derzeit in Afghanistan hat sich der asymmetrische Krieg selten im Laufe der Geschichte manifestiert - das stärkste Militärbündnis aller Zeiten droht in einem Kampf gegen eine technologisch und zahlenmäßig erbärmlich unterlegene Rebellenschar sieglos zu bleiben.
Wenn am Donnerstag auf der Afghanistan-Konferenz Vertreter aus 50 Staaten um Strategien und Truppenzahlen ringen, geht es auch um die Zukunft der Nato. Ein Scheitern der Afghanistan-Mission hätte verheerende Auswirkungen auf Glaubwürdigkeit und Strahlkraft der Allianz.
Vom viel zu hoch gehängten, zweckoptimistischen Ziel eines demokratischen Afghanistan ist man inzwischen abgekommen. Es hat sich die Einsicht durchgesetzt: Das in archaischen Stammesstrukturen und einem rigiden sunnitischen Islam gefangene Land kann selbst mittelfristig nicht einfach auf ein westliches Modell umgerüstet werden. Zudem nutzen die Taliban das alte, von Mao Tsetung griffig formulierte Guerilla-Prinzip, sich "wie Fische im Wasser" im Volk zu bewegen. Da Kombattanten nicht immer erkennbar sind, gibt es viele zivile Opfer der Nato-Attacken - Nährboden für neuen Hass. Ein Teufelskreis. Acht Jahre, nachdem die US-Streitkräfte die Taliban von der Macht entfernt haben, kontrollieren die radikalislamischen Milizen wieder weite Teile des Landes. Der Krieg ist offenbar nicht erfolgreich. Ein Abzug jedoch würde den Taliban das Land ausliefern und es zur Terrorbasis machen. Ein Dilemma.
Die Lösung, wie sie nun wohl auf der Afghanistan-Konferenz in London vorgestellt werden soll, sieht neben der verstärkten Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte auch die Teilhabe gemäßigter Taliban an der Macht vor. Der Westen besinnt sich auf das Prinzip "teile und herrsche" - auch dies eine antike Strategie.
Die massive Truppenaufstockung, an der sich wohl auch Deutschland zähneknirschend beteiligen muss, soll als militärischer Weichmacher dienen, um die Taliban in Verhandlungsbereitschaft zu manövrieren. Sobald die afghanische Armee stark genug und die Taliban schwach genug sind, kann die Nato abziehen. Ob dies gelingt, ist unklar - auch, wie lange der Entscheidungskampf dauern soll. Ein Entwurf für das Londoner Abschlusskommuniqué, das der "Times" zugespielt wurde, spricht von weiteren drei bis fünf Jahren. Zudem hieß es, der Westen werde versuchen, mit Hunderten Millionen Euro an "Bestechungsgeldern" führende Feldkommandeure der Taliban zum Aufgeben zu bewegen. Die afghanische Regierung plant derweil, 35 000 Taliban mit Geld und einem Arbeitsplatz zu versorgen, um sie vom Schlachtfeld zu holen. "Die Taliban gehören zur politischen Kultur Afghanistans", ließ sich US-Verteidigungsminister Robert Gates vernehmen - ganz ungewohnte Töne. Viele der vom Westen ausgebildeten afghanischen Soldaten und Polizisten laufen allerdings anschließend aus blanker Not zu den Taliban über - weil die weit besser bezahlen als die Regierung. Das soll sich nun ändern.
Die "Times" schrieb, die Strategie der finanziellen Belohnung werde die Angehörigen jener Soldaten erzürnen, die von den Taliban getötet worden seien. Und es werden möglicherweise noch viele Nato-Soldaten mehr fallen: Der amerikanische General David Petraeus, Chef des "Central Commands" der USA, sagte für den Sommer heftige Kämpfe voraus. Die Situation in Afghanistan werde noch schlimmer werden, bevor sie sich bessern könne, sagte Petraeus dem Londoner Blatt. Es werde noch länger dauern, Afghanistan zu befrieden als den Irak. Damit sind die Zielvorgaben von US-Präsident Barack Obama Makulatur, der die US-Truppen ab 2011 nach Hause holen wollte.
Der Leiter der Uno-Mission in Afghanistan, Kai Eide, forderte schon die Streichung mehrerer führender Taliban von der Uno-Terroristenliste, um Verhandlungen mit ihnen möglich zu machen. Auf dieser schwarzen Liste stehen 144 Taliban- und 256 Al-Qaida-Führer. Auch Richard Holbrooke, Obamas Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan, sprach sich in der "New York Times" für eine Überprüfung der Liste "von Fall zu Fall" aus. Holbrooke wandte sich aber klar gegen jedes Entgegenkommen gegenüber brutalen Führern des Aufstandes wie Mullah Omar und Gulbuddin Hekmatyar.