Berlin. Der neue Generalsekretär der SPD übernimmt seinen Job in einer schwierigen Situation. Doch er kann den Moment für die Partei nutzen.

Offiziell ist die Lücke schnell geschlossen: Am Montagnachmittag erfährt die Öffentlichkeit, dass Kevin Kühnert sich als Generalsekretär der SPD zurückzieht. Wenige Stunden später wird der Nachfolger präsentiert, erst der Partei, dann der Öffentlichkeit. Und schon ist die Fassade wieder glatt, die Lücke verschwunden. Zumindest nach außen.

Dasselbe nach innen zu erreichen, dürfte für die SPD deutlich schwieriger werden. Vor Beginn eines Bundestagswahlkampfs unerwartet den Generalsekretär einzubüßen, wäre für jede Partei eine schlechte Nachricht. Für die SPD aber in der aktuellen Situation ist sie erschütternd.

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Die Zufriedenheitswerte für die Partei, ihren Kanzler, die Regierungskoalition insgesamt: durch die Bank miserabel. Bei den jüngsten Wahlen – Brandenburg und den Woidke-Sondereffekt einmal herausgerechnet – schlug sich das auch in der Zahl der Stimmen nieder. Der Versuch der Sozialdemokratie, sich in der Ampel darzustellen als Quell von Ruhe und Vernunft, während FDP und Grüne streiten, gab ihr in den vergangenen Jahren allzu oft nicht eine Aura von Ruhe, sondern eine von Lethargie.

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Miersch hat einige Bundestagswahlen erlebt – und einige SPD-Krisen

In der Summe ergibt das: niedrige Umfragewerte, niedriges Selbstbewusstsein, wie Kühnert es in seiner Rücktrittserklärung ausgedrückt hat. Ihm selbst war es nicht gelungen ist, das zu ändern. Jetzt liegt es bei Matthias Miersch. Er ersetzt jemanden, der immerhin das prominenteste junge Gesicht der Partei war. Den Niedersachsen Miersch dagegen kennen in der breiten Öffentlichkeit wesentlich weniger Menschen. Und man tritt ihm auch nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass der 55-Jährige nicht unbedingt sinnbildlich für den Aufbruch in der Partei steht.

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Theresa Martus, Korrespondentin Bundespolitik © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Andererseits: Fast 20 Jahre im Bundestag, davon acht als stellvertretender Fraktionschef, heißen, dass Miersch schon einige Bundestagswahlen aus der Nähe gesehen hat – und auch einige Partei-Niederlagen. Neben Erfahrung bringt er aus seiner Parlamentskarriere zahlreiche persönliche Kontakte und eine gute Vernetzung in der Partei mit, und ein breites Themenwissen noch dazu.

Es gibt schlechtere Voraussetzungen, um aus einer Krise eine Chance zu machen. Und genau das ist die schwierige Aufgabe, vor der die Sozialdemokraten und ihr neuer Generalsekretär jetzt stehen.

Der neue Generalsekretär muss jetzt die Konturen scharf ziehen für die Partei

Nach Kühnerts Weggang liegt das Scheinwerferlicht mehr als sonst auf der Partei. Miersch sollte seine unerwartete neue Rolle nutzen, um die inhaltlichen Konturen der Partei wieder scharf zu ziehen, die im Regierungsalltag oft verwischt sind. Die Botschaft muss sich dabei nicht zuletzt an die eigenen, verzagten Mitglieder richten, die im kommenden Jahr auf den Marktplätzen und an den Haustüren kämpfen sollen.

Die Grünen haben sich nach dem Rücktritt von Omid Nouripour und Ricarda Lang – genauso überraschend wie der von Kühnert, wenn auch aus anderen Gründen – selbst erst kürzlich neu sortiert. Sie haben sich personell auf einen Wirtschaftswahlkampf eingestellt. In der CDU laufen die Vorbereitungen für das nächste Jahr ohnehin schon auf Hochtouren. Ein Jahr vor der Bundestagswahl sind damit an vielen Stellen die Schalter bereits umgelegt auf Wahlkampf.

Gerade die Ampel-Koalitionspartner sollten allerdings vor lauter Konzentration auf die nächste Wahl nicht vergessen, dass sie für die Legislatur noch gewählt sind. Rente, Wirtschaft, Kitas: Die Liste der Probleme, die besser heute als morgen angepackt werden sollten, ist lang. Das Zeitfenster, das dafür bleibt, wird immer kleiner.