Berlin. Der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert tritt zurück. In einem zweiseitigen Brief schildert er die Gründe. Lesen Sie ihn hier im Wortlaut.
Kevin Kühnert geht: Nach drei Jahren als SPD-Generalsekretär tritt er mit sofortiger Wirkung von dem Amt zurück. Auch für den Bundestag will er nicht erneut kandidieren – aus gesundheitlichen Gründen. Seine Entscheidung machte er am Montag in einem Brief an die SPD-Mitglieder öffentlich. Lesen Sie seine Erklärung hier im Wortlaut:
Kevin Kühnert tritt zurück: Sein Brief an die SPD im Wortlaut
„Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,
gut ein Jahr noch, dann findet die Bundestagswahl 2025 statt. Ich habe diesen Stichtag zum Anlass genommen und dem SPIEGEL in der vergangenen Woche ein Interview gegeben. Gefragt nach den Wahlchancen unserer SPD für 2025 habe ich gesagt: „Jeder von uns muss und wird in dieser Kampagne über sich hinauswachsen“.
Diese Aussage, bezogen auf die gesamte Spitze in Partei, Fraktion und Regierung, ist meine tiefe Überzeugung. Die kommende Wahl ist offener, als viele das heute glauben wollen. Die Chancen für die SPD ergeben sich dabei aber nicht aus Abwarten, sondern einzig und allein aus Anpacken. In den nächsten Monaten müssen enorme Kraftanstrengungen unternommen werden, um einen Rückstand aufzuholen, der sich gleichermaßen in niedrigen Umfragewerten und niedrigem Selbstbewusstsein ausdrückt. Die Erwartungen an uns sind riesig.
Für einen Wahlsieg braucht es den vollen Einsatz der gesamten SPD und ihrer mehr als 350.000 großartigen Mitglieder. Für den vollen Einsatz der Mitglieder braucht es Stolz und Leidenschaft. Grundlage für Stolz ist eine sozialdemokratische Leistungsbilanz, die von der Spitze selbstbewusst vertreten wird. Und Leidenschaft kann nur wachsen, wo programmatische und strategische Ziele der Wahlauseinandersetzung geklärt sind und auf Zustimmung stoßen.
Diese Voraussetzungen schnell zu schaffen, erfordert nun volle Konzentration und vollen Einsatz von allen Beteiligten. Denn wie gesagt: „Jeder von uns muss und wird in dieser Kampagne über sich hinauswachsen.“ Ich selbst kann im Moment nicht über mich hinauswachsen, weil ich leider nicht gesund bin. Die Energie, die für mein Amt und einen Wahlkampf nötig ist, brauche ich auf absehbare Zeit, um wieder gesund zu werden. Deshalb ziehe ich die Konsequenzen. Ich habe unsere Parteivorsitzenden Saskia und Lars vor wenigen Tagen informiert, dass ich vom Amt des SPD-Generalsekretärs heute zurücktrete. Für ihr Verständnis und ihre Empathie danke ich den beiden ebenso, wie für unsere besonders enge und freundschaftliche Zusammenarbeit.
„Eine Partei lebt von der Kraft ihrer Idee - nicht bloß davon, wer die Idee in Talkshows erklärt“
Ich habe außerdem die Vorsitzenden der SPD Tempelhof-Schöneberg darüber informiert, dass ich auch für eine erneute Kandidatur bei der kommenden Bundestagswahl nicht zur Verfügung stehe.
Diese Entscheidungen haben mich Überwindung gekostet und sie schmerzen mich, weil ich meine politische Arbeit mit Herzblut betreibe. Aber sie sind trotzdem richtig. Ich trage Verantwortung für mich selbst - und für die SPD. Indem ich mich jetzt ganz um meine Gesundheit kümmere, glaube ich, meiner doppelten Verantwortung am besten gerecht zu werden.
Politik lebt vom Wechsel. Das ist gut so. Eine Partei lebt von der Kraft ihrer Idee - nicht bloß davon, wer die Idee in Talkshows erklärt. Die SPD hat alle Chancen, weil sie eine zeitlos richtige Idee vertritt. Wir werden gebraucht. Nur Mut!
Ich danke denen, mit denen ich zusammenarbeiten, Wahlkämpfe bestreiten, politische Erfolge erringen konnte - und manchmal auch Niederlagen. Vorneweg gilt der Dank den tollen Kolleginnen und Kollegen im Willy-Brandt-Haus und meinem großartigen Team für Herzblut, Tatkraft und Geduld. Ebenso danke ich allen, die mir vor drei Jahren geholfen haben, das Direktmandat in meinem Heimatbezirk Tempelhof-Schöneberg zu erringen. Was für eine Ehre!
Mein ganz besonderer Dank gilt den Mitgliedern der SPD landauf und landab. Tausende von euch, die sich ehrenamtlich Woche für Woche den Arsch aufreißen, habe ich in den letzten Jahren treffen dürfen. Während manch andere Partei und Gruppe niederste Instinkte bedient, arbeitet ihr unermüdlich dafür, das Beste aus euch und euren Mitmenschen herauszuholen. Dass man sich dafür mitunter noch rechtfertigen muss oder gar angegriffen wird, das sagt viel über die Zeit, in der wir leben. Lasst euch nicht beirren! Ihr verdient Respekt und Anerkennung für das, was ihr tut. Danke!
Wir sehen uns!
Kevin“
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