Lammert hatte den Abgeordneten Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU) Redezeit im Plenum zur Verfügung gestellt.

Berlin. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat mit seiner Entscheidung, zwei Abweichler aus den Koalitionsfraktionen im Parlament reden zu lassen, für Unmut gesorgt. Nach Unverständnis aus seiner eigenen Partei äußerte sich auch der Ältestenrat des Bundestags kritisch. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele verlangte prompt, bei strittigen Themen ebenfalls eigene Redezeit unabhängig von seiner Fraktion zu erhalten.

Lammert hatte den Abgeordneten Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU), die beim Thema Euro-Rettungsschirm anderer Meinung sind als die Mehrheit ihrer Fraktionskollegen, am Donnerstag Redezeit im Plenum zur Verfügung gestellt. Sie waren von ihren Fraktionen nicht auf die Rednerlisten gesetzt worden. Lammert berief sich in seiner Entscheidung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1989, das sich allerdings auf einen fraktionslosen Abgeordneten bezogen hatte.

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«Diese Entscheidung halte ich für falsch», monierte Unions-Fraktionschef Volker Kauder anschließend. «Wenn alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben, dann bricht das System zusammen», warnte der CDU-Politiker. «Ich halte das für eine bedenkliche Entwicklung, die die Arbeitsfähigkeit des Parlaments beschränkt», sekundierte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU).

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Auch der Ältestenrat sieht das Vorgehen des Bundestagspräsidenten kritisch. Nun soll die Rechtslage geklärt werden. Einen entsprechenden Auftrag habe der Ältestenrat einvernehmlich dem Geschäftsordnungsausschuss erteilt, sagte Lammerts Sprecher Guido Heinen der Nachrichtenagentur dapd. Er zeigte sich allerdings überzeugt, dass Lammert eine klare Rechtsgrundlage für seine Entscheidung hatte. Heinen verwies auf den einschlägigen juristischen Kommentar zur Geschäftsordnung des Bundestags. Darin heiße es: «Da dem 'Abweichler' aber in jedem Fall das Wort zu erteilen ist, bleibt nur die Möglichkeit, die Aussprache entsprechend zu verlängern. Der Präsident ist dazu ungeachtet eines zur Festlegung der Dauer der Aussprache gefassten Bundestagsbeschlusses berechtigt und verpflichtet.»

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, erklärte jedoch, Lammert sei «entgegen der bisherigen Praxis» vorgegangen. «Bislang lag es im Verantwortungsbereich der Fraktionen, abweichende Meinungen im Rahmen ihres Redezeitkontingents zuzulassen oder die Abgeordneten auf das Recht zur Kurzintervention oder der Erklärung zur Abstimmung zu verweisen», sagte Beck, der Mitglied im Ältestenrat ist.

Seinem Fraktionskollegen Ströbele dagegen ist Lammerts Entscheidung hochwillkommen. Der Grünen-Abgeordnete will nun auch in den Fällen ein eigenes Rederecht erhalten, in denen seine Fraktion ihn nicht auf die Redeliste setzt. «Jetzt bestehe ich auf Gleichbehandlung», kündigte Ströbele an.

Er bemühe sich seit zehn Jahren vergeblich, im Bundestag zum Thema Afghanistan-Krieg sprechen zu dürfen. Seine Fraktion verweigere dies stets, weil er bekanntlich eine andere Auffassung dazu vertrete als die Grünen-Mehrheit. «Sollte mir weiterhin das Rederecht bei Debatten über Kriegsentscheidungen des Parlaments verweigert werden, werde ich mein Recht als Mitglied des Bundestages auf Rede und Gleichbehandlung beim Bundesverfassungsgericht einklagen», sagte Ströbele. (dapd/abendblatt.de)