Neue Audio-Botschaft des untergetauchten Diktators. Die Heimatstadt Gaddafis wird weiter beschossen, etliche Familien fliehen aus Sirte.

Tripolis/Paris. 16.11 Uhr : Die USA werden ihre Botschaft in Libyen noch in dieser Woche wiedereröffnen. Das kündigte Präsident Barack Obama am Dienstag an. Zugleich rief er die Anhänger des vertriebenen Machthabers Muammar Gaddafi auf, die Waffen niederzulegen und sich in den Dienst des „neuen Libyen„ zu stellen. Der von der Nato angeführte Einsatz werde solange dauern, wie das libysche Volk bedroht sei, kündigte der Präsident laut vorab verbreitetem Redetext an. Obama sollte im Laufe des Tages mit Vertretern der neuen libyschen Regierung Gespräche führen.

14.43 Uhr: Etliche Familien in vollgepackten Autos sind am Dienstag aus der Geburtsstadt des gestürzten libyschen Machthabers Muammar Gaddafi geflohen. In Sirte hätten sie in einer Art Belagerungszustand gelebt und seien von Gaddafi-Truppen an der Flucht gehindert worden, berichteten sie. Kämpfer der Revolutionstruppen unterstützten die Fliehenden nach eigenen Angaben, damit sie noch vor einem für (den morgigen) Mittwoch geplanten Angriff die Stadt verlassen können.

12.52 Uhr: Der untergetauchte Machthaber Gaddafi hat sich in einer neuen Tonaufnahme weiterhin unbeugsam gezeigt. „Das politische System in Libyen beruht auf dem Volkswillen“, sagte er in der Aufzeichnung, die vom syrischen TV-Sender Arrai ausgestrahlt wurde. „Es ist unmöglich, dass dieses System abgeschafft wird.“ Die Nato werde ihre Luftangriffe nicht unbegrenzt fortsetzen können, sagte er weiter. Gaddafis Aufenthaltsort ist unbekannt.

11.47 Uhr: Am Sitz der Vereinten Nationen in Genf weht seit Dienstag die Flagge des libyschen Nationalen Übergangsrates. Im Beisein des libyschen Uno-Botschafters Ibrahim Aldredi wurde die grün-schwarz-rote Fahne der einstigen Aufständischen gehisst. Eine kleine Gruppe libyscher Sympathisanten schaute dem Geschehen zu und sang die neue Nationalhymne. Die Menschen freuten sich, applaudierten und skandierten „es lebe Libyen“. Die Generalversammlung der Uno hatte den Übergangsrat vergangenen Freitag offiziell als Vertreter Libyens anerkannt.

Revolutionstruppen haben nach eigenen Angaben den Flughafen nahe der südlibyschen Gaddafi-Hochburg Sabha unter ihre Kontrolle gebracht. Die Einnahme der Wüstenstadt wäre für die neue libysche Führung im Kampf gegen Anhänger des einstigen Machthabers Muammar al-Gaddafi ein wichtiger Erfolg. Ein Militärsprecher der libyschen Übergangsregierung, Ahmed Bani, sagte, Kämpfer hätten den Flughafen von Sabha und eine alte Festung in der Nähe der Stadt eingenommen. Ein Sprecher des Gemeinderats von Sabha, Salam Kara, bestätigte das. Revolutionstruppen haben in ihrem Kampf um die letzten Bastionen von Gaddafi dessen Heimatstadt Sirte mit Raketen beschossen. Im Osten der Gaddafi-Hochburg Bani Walid brachen sporadische Kämpfe zwischen beiden Lagern aus. Schlecht ausgerüstete Ex-Rebellen versuchten sich von Norden in die Stadt vorzukämpfen, gerieten aber unter Mörserbeschuss und Maschinengewehrfeuer.

Die Front vor Bani Walid werde derzeit von größtenteils jungen Kämpfern ohne militärische Ausbildung gehalten, berichtete ein Reporter der Nachrichtenagentur AP. Darunter seien 18-Jährige, die den Tag damit verbrächten, Haschisch zu rauschen und in die Luft zu schießen. Am Montag gerieten drei Fahrzeuge von Anhängern der Übergangsregierung in einen Hinterhalt von Gaddafi-Truppen, sagte Kämpfer Wassim Radschab. Er habe von Kameraden gehört, dass vier von ihnen getötet worden seien.

Unterdessen kamen die Bemühungen der libyschen Übergangsregierung zur Bildung eines neuen Kabinetts zum Stillstand, wie ein Sprecher sagte. Es habe Beschwerden gegeben, einige Städte fühlten sich unterrepräsentiert, sagte Dschalal al-Gallal. Führende Vertreter des nationalen Übergangsrates waren am Sonntag damit gescheitert, das aus 36 Mitgliedern bestehende Kabinett zu besetzen. Grund waren Meinungsverschiedenheiten über einige der vorgeschlagenen Mitglieder.

Der Vorsitzende des Übergangsrats, Mustafa Abdul Dschalil, und der Chef der Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, brachen nach dem Scheitern der Kabinettsverhandlungen nach New York auf, wo sie Libyen bei der Uno-Vollversammlung vertreten werden.

Der frühere Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Ian Martin, leitet die neue Uno-Mission in Libyen. Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon ernannte den britischen Diplomaten in New York. Er soll die United Nations Support Mission in Libya (UNSMIL) führen, deren Bildung am Freitag vom Sicherheitsrat beschlossen worden war. Martin war zuletzt bereits Sondergesandter Bans beim Übergangsrat der libyschen Rebellen.

UNSMIL soll zunächst für drei Monate zum Einsatz kommen, das Mandat kann aber verlängert werden. Auftrag der Unterstützungsmission ist die Stabilisierung des Landes, die Sicherung der Ordnung und des Rechtssystems. Zudem sollen die Uno-Beamten auf die Einhaltung der Menschenrechte achten und auch die Wirtschaft wieder ankurbeln. Martin war von 1986 bis 1992 Generalsekretär von Amnesty International. Danach arbeitete er für die Vereinten Nationen unter anderem in Haiti, Ruanda, auf dem Balkan, in Osttimor und im Gazastreifen.

Amnesty International hat unterdessen den EU-Staaten einen völlig unzureichenden Umgang mit Flüchtlingen des Libyen-Konflikts vorgeworfen. Die in Lagern an den Grenzen in Ägypten und Tunesien lebenden Flüchtlinge könnten weder in ihre Herkunftsländer noch nach Libyen zurückkehren, erklärte Amnesty. Die EU-Innenminister sollten den rund 5000 unter miserablen Bedingungen lebenden Menschen eine Ansiedlung in Europa anbieten, verlangte die Organisation. In Libyen gebe es derzeit keine Infrastrukturen, um die Flüchtlinge aufzunehmen. Zudem bestehe das Risiko, dass libysche Rebellen die Flüchtlinge für Söldner Gaddafis hielten.

Australien, Kanada und die USA hätten bereits Aufnahmeplätze angeboten. In der EU hätten sich acht Staaten zur Aufnahme von weniger als 700 Flüchtlingen bereit erklärt. Mehr und mehr Flüchtlinge versuchten deshalb angesichts ihrer ausweglosen Lage, auf dem Seeweg Europa zu erreichen. Nach Amnesty-Schätzungen sind seit Beginn des Libyen-Konflikts rund 1500 Menschen bei solchen Überfahrten auf See ums Leben gekommen.

Die EU habe eine besondere Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen, weil zahlreiche EU-Staaten an den Nato-Einsätzen in Libyen teilgenommen hätten, die einer der Hauptgründe für die Flüchtlingsbewegungen seien. Die EU müsse die Lage der Flüchtlinge auf die Tagesordnung des EU-Innenminister-Treffens setzen, das am Donnerstag in Brüssel stattfindet. (abendblatt.de/dapd/rtr/dpa)