Die Staatschefs aus Deutschland und Frankreich suchen Wege aus der Krise. Doch die Rettung der europäischen Währung wird immer teurer.
Hamburg. Europa - das ist dort, wo es dunkel wird, wo die Sonne erlischt. Das ist jedenfalls die Bedeutung des semitischen Wortes ereb, von dem der Name unseres Kontinents abstammen soll. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise mit ihren gravierenden Auswirkungen nicht zuletzt auf den alten Kontinent hat zu akuten Ängsten geführt, dass auch währungspolitisch das Licht in Europa ausgehen könnte.
Der Niedergang vor allem der griechischen, irischen, italienischen, spanischen und teilweise nun auch der französischen Wirtschaft gefährdet das einzigartige Projekt der Europäischen Union: die gemeinsame Währung Euro.
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy gestern Abend in Paris zu einem Krisengespräch zusammentrafen, ging es um nichts weniger als um die Rettung der zweitwichtigsten Währung der Welt nach dem Dollar.
Die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung ab 1999 war der Preis, den vor allem Frankreich für die deutsche Wiedervereinigung gefordert hatte. Das starke Deutschland mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern sei nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch noch währungspolitisch eng einzubinden - darin sah Frankreichs Präsident François Mitterrand einen Schutzmechanismus für Europa.
Im Vertrag von Maastricht einigten sich die EU-Mitgliedstaaten 1992 auf bestimmte "Konvergenzkriterien", die die Stabilität des Euro sicherstellen sollten. So erlaubte das Abkommen nur eine jährliche Neuverschuldung von drei Prozent und einen Gesamtschuldenstand von maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Doch der Vertrag wurde seitdem permanent von zahlreichen Staaten gebrochen; kein einziges Mal wurden die ohnehin müden Sanktionsmöglichkeiten genutzt.
Deutschlands Schuldenstand etwa liegt inzwischen bei rund 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes; der Griechenlands bei mindestens 120 Prozent.
Griechenland hatte dem Euro 2001 ohnehin nur beitreten können, weil es seine Bilanzen frisiert hatte; das Fehlen wirksamer europäischer Kontrollmechanismen oder der Möglichkeit, ein Mitglied problemlos wieder auszuschließen, sollte sich bitter rächen.
+++ Leitartikel: Furcht im Wunderland +++
Hinter der Einführung des Euro standen damals massive politische Motive; es ging um ein auch währungspolitisch geeintes Europa. Schon damals tauchte hartnäckig die Frage auf, wie unterschiedlich starke Volkswirtschaften - man denke nur an die deutsche und die griechische - eigentlich auf einem Währungsniveau funktionieren sollten. Das 1979 eingeführte Europäische Währungssystem (EWS) hatte starke Schwankungen der einzelnen Währungen noch ausgleichen können.
Mit voller Absicht hatte der Vertrag von Maastricht eine strenge Nichtbeistands-Klausel vorgesehen. (No Bail-Out). Sie sollte sicherstellen, dass weder die Union noch einzelne Mitgliedstaaten für die Verbindlichkeiten anderer Länder aufkommen müssten.
Im Klartext: Macht eure Hausaufgaben, gebt nicht mehr aus, als ihr einnehmt, dann passiert so etwas auch nicht. Wenn doch - seid ihr selber schuld. Doch die Finanzkrise, lawinenartig ausgelöst vom Zusammenbruch der 158 Jahre alten US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2009, machte diesen Passus zur Makulatur. Griechenland stand vor der Pleite, auch Portugal, Irland, Spanien und Italien taumelten. Ihre Anfangsbuchstaben wurden im Finanzsprachgebrauch zum uncharmanten PIIGS zusammengefasst, das dem englischen Wort für Schweine, Pigs, bedenklich ähnelt.
Die Bundesregierung von Angela Merkel scheiterte mit ihrer Idee, Schuldnerstaaten einfach vom Euro auszuschließen und eine Staateninsolvenzordnung einzuführen. Vor allem Nicolas Sarkozy war dagegen. Am 25. März 2010 erhielt Griechenland Kreditgarantien über 110 Milliarden Euro - die dann in diesem Jahr um weitere 60 Milliarden Euro aufgestockt wurden. Und auf einer Sondersitzung des Europäischen Rates in der Nacht zum 10. Mai 2010 wurde ein provisorischer Stabilitätsmechanismus für den Euro beschlossen, der drei Jahre gültig sein soll. Er sieht Leistungen für betroffene Staaten von bis zu 60 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt vor. Hinzu kommen 440 Milliarden, die von der Europäischen Finanzstabilitätsfazilität (EFSF) - einer Art Euro-Zweckgesellschaft - bereitgestellt werden.
Insgesamt ergibt sich für Deutschland daraus eine maximale Verpflichtung von rund 148 Milliarden Euro.
Doch schon im Dezember zeigte sich, dass ein Provisorium langfristig nicht ausreichen würde - und der Rat beschloss nunmehr einen permanenten Mechanismus, der auch nach 2013 in Kraft bleiben soll. Die Ausgestaltung dieses Abkommens wurde am 21. März 2011 von den Finanzministern der Euro-Gruppe beschlossen. Es muss aber noch von den Mitgliedstaaten abgesegnet werden. Dieser Mechanismus sieht eine direkte Einzahlung der Mitgliedstaaten von je 80 Milliarden Euro in den Topf vor, hinzu kommen Kreditgarantien der Gemeinschaft über 420 Milliarden Euro und weitere 250 Milliarden gegebenenfalls vom Internationalen Währungsfonds IWF. Zusammen also 750 Milliarden Euro. Doch angesichts der sich trotzdem ausweitenden Krise, die jetzt sogar Frankreich zu erfassen droht, wurde in Kreisen der Europäischen Zentralbank bereits die Forderung laut, den Rettungsschirm auf 1,5 Billionen Euro zu verdoppeln. Bislang sind außer Griechenland auch Irland (85 Milliarden) und Portugal (78 Milliarden) unter den Schirm geschlüpft.
Im Zentrum des Kampfes um den Euro stehen die Führer der beiden stärksten Staaten der EU, Deutschland und Frankreich. Ein offen ausgetragener Dissens würde jeden Versuch einer Euro-Rettung torpedieren. Merkel und Sarkozy demonstrieren nach Kräften Eintracht, ringen aber hinter den Kulissen verbissen um Details.
Im Streit um eine von Merkel geforderte Beteiligung der Banken am Rettungspaket - die schließlich auf freiwilliger Basis beschlossen wurde - soll Sarkozy gesagt haben, die Einzigen, die es an Solidarität fehlen ließen, seien die Deutschen: "Der deutsche Egoismus ist kriminell, er verlängert die Krise." Bilaterale Krisentreffen der beiden zum Euro gab es allein 2010 im Juni, Oktober und Dezember.
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Nun ist Frankreichs in einer ganz anderen Lage als Deutschland: Die Wirtschaft schrumpft, ihm droht gar eine Herabstufung durch die Rating-Agenturen auf AA+ wie bei den USA. Und Sarkozys Popularität daheim ist im freien Fall; er steht unter Erwartungsdruck. Überdies halten französische Banken wie die Société Générale viele griechische und italienische Anleihen; ein Scheitern der Euro-Rettung könnte sie in den Abgrund ziehen.
Selbst in der Europäischen Zentralbank (EZB) lauert eine erhebliche Gefahr. Deren Chef Jean-Claude Trichet hat nämlich fast 100 Milliarden Euro an Anleihen überschuldeter Staaten in die Bücher genommen - die EZB wird damit zur "Bad Bank". Das nimmt zwar den Druck auf die schwachen PIIGS-Staaten, erhöht ihn aber auf Frankreich und Deutschland. Sollte sich die Krise weiter verschärfen, müsste sich die EZB rekapitalisieren - auf Kosten der Starken wie Deutschland.