Stimmen für einheitliche Regelungen bei Leerverkäufen werden lauter. Es besteht jedoch auch Zweifel an der Wirksamkeit des Verbots.
Zur Eindämmung der Spekulation gegen Staaten und Unternehmen und als Lehre aus den Börsenturbulenzen der vergangenen Tage verlangt die Bundesregierung nach deutschem Vorbild ein europaweites Verbot hoch riskanter Aktiengeschäfte. Damit reagierte das Bundesfinanzministerium auf einen Vorstoß aus Frankreich, Italien, Spanien und Belgien. Diese Euro-Länder wollen bestimmte Aktien-Leerverkäufe zumindest vorübergehend verbieten. In Deutschland betrifft das seit Mitte 2010 geltende Verbot die ungedeckte Variante des Geschäfts.
Das Ministerium unterstütze die von den vier Ländern beschlossenen Maßnahmen, sagte Sprecher Martin Kreienbaum am Freitag in Berlin. Für eine Ausweitung des Verbots „setzen wir uns auch europaweit ein“. Die vier Länder wollen die Marktturbulenzen mit einem ab sofort geltenden vorläufigen Verbot bestimmter Leerverkäufe eindämmen. In Frankreich gilt die Maßnahme für 15 Tage. Betroffen sind nach Angaben der Börsenaufsicht die Aktien von elf Banken und Versicherungen, darunter die Société Générale und BNP Paribas.
Am Mittwoch hatten Investoren massiv Aktien der beiden Institute abgestoßen und die europäischen Aktienmärkte damit auf Talfahrt geschickt. Experten führten dies auch auf Leerverkäufe zurück. Die Geschäfte verstärkten die Sorgen um den Zustand führender Volkswirtschaften, darunter insbesondere Frankreich.
Nach dem vorübergehenden Stopp von Leerverkäufen in vier weiteren Euro-Ländern hat auch der Bundesverband deutscher Banken einheitliche Regelungen gefordert. Verbote in einzelnen EU-Ländern führten zu einem Flickenteppich und dürften keine Dauerlösung sein, sagte Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer am Freitag. „Wir brauchen vernünftige, gesamteuropäische Regelungen.“ Leerverkäufe dürften aber nicht pauschal verboten werden, da sie eine wichtige Funktion bei der Preisbildung an den Märkten erfüllten.
Gabriel rügt das Verbot als verspätet
SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte den Schritt als verspätet. Es sei unverständlich, wie beispielsweise in Italien und Spanien nach der Finanzkrise 2008 und 2009 Leerverkäufe überhaupt wieder erlaubt werden konnten, sagte Gabriel im Deutschlandradio Kultur. Das Wetten auf finanzielle Krisen gehöre international verboten. Von der Bundesregierung forderte er mehr Einsatz für einheitliche Regelungen.
Bei einem Leerverkauf leiht sich ein Marktteilnehmer bei einem anderen gegen eine Gebühr ein Wertpapier und verkauft es weiter. Dabei setzt er auf einen fallenden Kurs, der Käufer hingegen auf einen Kursanstieg. Endet die Leihfrist oder verlangt der Inhaber das Papier zurück, muss es der Marktteilnehmer zurückkaufen. Die Differenz – abzüglich des Preises des Papiers und der Leihgebühren - ist sein Gewinn.
In Deutschland sind ungedeckte Leerverkäufe von Aktien und Staatsanleihen von Euro-Ländern seit vergangenem Sommer verboten. Bei dieser Art von Geschäften verkauft ein Marktakteur ein Papier, das er noch nicht einmal besitzt. Diese Variante ist daher noch riskanter. Griechenland hatte Leerverkäufe am Montag verboten.
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Frankreich, Spanien, Italien und Belgien haben Leerverkäufe von Finanzaktien vorerst verboten. Damit wollen sie weitere Kursverluste an den heimischen Märkten verhindern. Im Folgenden einige Hintergrundinformationen zu diesen riskanten Börsengeschäften:
– Bei normalen Leerverkäufen wetten Investoren auf fallende Kurse von Wertpapieren. Sie verkaufen Wertpapiere, die sie sich zuvor von anderen Anlegern gegen eine Gebühr geliehen haben, zu einem fest vereinbarten Kurs. Sinkt der Preis bis zum Lieferdatum, können sie sich billiger wieder eindecken und die geliehenen Papiere zurückgeben. Die Differenz zwischen dem niedrigeren Kurs und dem höheren Verkaufspreis abzüglich der Gebühr streichen die Investoren – oft Hedgefonds – als Gewinn ein. Geht die Wette indes verloren, also steigt der Preis, besteht die Gefahr, dass die Anleger zu einem höheren Kurs wieder einsteigen müssen, um die geliehenen Papiere zurückzugeben. Dann droht ein Verlust in den Büchern der Leerverkäufer.
– Bei ungedeckten Leerverkäufen ist das Prinzip dasselbe. Allerdings haben sich die Investoren noch nicht einmal die Wertpapiere geliehen, was die Risiken deutlich erhöht. Denn zum Lieferdatum besitzen sie so keinerlei Papiere. Um ihren Lieferverpflichtungen nachzukommen, MÜSSEN sie diese daher dann am Markt in jedem Fall erwerben – unabhängig von der Kursentwicklung. Ist der Preis nicht wie erhofft gesunken, müssen sie hohe Verluste realisieren. Dafür sind im Erfolgsfall die Gewinnchancen höher, da keine Gebühr anfällt.
– Wenn Leerverkäufe bei einigen Titeln den Handel dominieren, können diese dramatisch unter Druck geraten. Denn theoretisch können mehr Papiere verkauft werden als tatsächlich existieren. Dann werden die Wetten der Investoren zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Wenn alle auf einen Kursverfall wetten, tritt dieser auch ein.
– Leerverkäufe erfüllen oft auch einen wichtigen wirtschaftlichen Zweck. Denn damit können sich Firmen und andere Investoren gegen Kursrisiken absichern. Wer etwa in einigen Monaten Rohstoffe kaufen muss und mit höheren Preisen rechnet, kann durch einen erfolgreichen Leerverkauf in anderen Bereichen für Ausgleich sorgen. Zudem sorgen diese Geschäfte für ausreichende Liquidität an den Märkten.
– In Deutschland sind ungedeckte Leerverkäufe von Aktien und Staatsanleihen von Euro-Ländern seit einem Jahr per Gesetz ganz verboten. Nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 hatten viele Länder zumindest vorübergehend ähnliche Maßnahmen beschlossen. Um die Transparenz der Geschäfte zu erhöhen, hat die Finanzaufsicht BaFin zudem eine Meldepflicht für Leerverkäufe von Aktien der zehn größten deutschen Finanz- und Versicherungshäuser eingeführt. Ab März 2012 gilt ohnehin eine gesetzliche Meldepflicht für alle Leerverkäufe von Aktien.
– Auf Ebene der Europäischen Union (EU) ist das Vorgehen noch umstritten, vor allem was ein Verbot von Leerverkäufen mit Kreditausfallversicherungen (CDS) auf europäische Staatsanleihen betrifft. Das EU-Parlament dringt hier auf eine schärfere Regelung als die meisten Mitgliedsstaaten.
Mit Material von dapd/reuters