Die Hürden für ausländische Fachkräfte sollen abgebaut werden. Es gebe mehr Abwanderer als Zuwanderer: Deutschland vergreist.
Berlin. Migrationsexperten haben von der Bundesregierung eine mutigere Einwanderungspolitik und einen leichteren Zugang auf den deutschen Arbeitsmarkt gefordert. Angesichts der zunehmend älter werdenden Bevölkerung müsse bereits im Jahr 2015 mit bis zu drei Millionen fehlenden Arbeitskräften im Land gerechnet werden, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Klaus Bade. Deutschland müsse im Inneren und nach außen attraktiver werden. Als „ein demografisch vergreisendes und schrumpfendes“ Land verfüge es nur über eine einzige Ressource, nämlich eine möglichst qualifizierte Erwerbsbevölkerung, betonte Bade bei der Vorstellung des Jahresgutachtens des Sachverständigenrates.
Die Debatte um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ habe in der Integrationspolitik Schaden angerichtet. Das vergangene Jahr sei beherrscht worden von einem „Spiel mit Ängsten, Vorurteilen, Halbwahrheiten, Unterstellungen und unzulässigen Verallgemeinerungen“. Das sei ein Rückschlag gewesen, erklärte der Sachverständigenrat. Nach einer Umfrage des Sachverständigenrates unter rund 2450 Menschen geht die Bevölkerung mehrheitlich pragmatisch und nüchtern mit den Themen Migration und Integration um. Bade verwies darauf, dass rund die Hälfte der Befragten, die selber keine ausländischen Wurzeln besitzen, dafür sei, mehr Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Angesichts des aktuellen Flüchtlingsstroms aus Nordafrika hatten sich aber vor allem Unionspolitiker gegen eine stärkere Aufnahme ausgesprochen.
Weiterhin hieß es, die Zuwanderung nach Deutschland sei in den vergangenen Jahren rapide zurückgegangen. 2009 habe es einen Wanderungsverlust von 13.000 Menschen gegeben. Das bedeutet, es wanderten mehr Menschen aus, als Zuwanderer ins Land kamen. Das Expertengremium spricht sich für die Senkung der Mindesteinkommensgrenze für ausländische Hochschulabsolventen von derzeit 66.000 Euro auf rund 40.000 Euro Jahresbrutto aus. Zudem empfiehlt der Rat eine „forcierte Bleibepolitik“ gegenüber internationalen Studierenden.
Sie seien jung, gut qualifiziert, in der Regel mit guten Deutschkenntnissen und vertraut mit den Institutionen des Landes. Sie sollten deshalb nach Abschluss des Studiums für die Arbeitsplatzsuche in Deutschland zwei Jahre, statt bisher ein Jahr Zeit bekommen. Weiter spricht sich der Rat für ein flexibles Punktesystem für die Zuwanderung von besonders vom Fachkräftemangel betroffene Branchen aus.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), erklärte, das Gutachten setze „die richtigen Wegweiser zur richtigen Zeit“. Oberste Priorität sei, die Potenziale von qualifizierten Migranten zu stärken. Das Gutachten zeige, „dass die Bevölkerung mutiger ist als die Politik derzeit“, erklärte der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören (FDP). Die Blockade-Haltung von Teilen der Politik schade Deutschland. Grünen-Chef Cem Özdemir betonte, das Gutachten stelle eine „gute Grundlage für eine Rückkehr zu Sachlichkeit und Vernunft in der Migrations- und Integrationsdebatte“.
Als Herkunftsländer künftiger Zuwanderer nach Deutschland benennt der Sachverständigenrat neben osteuropäischen Ländern unter anderem auch die vorwiegend muslimisch geprägten Staaten Nordafrikas. Dabei warnt das Expertengremium vor „populistischer Kulturpanik“. Als positiv beurteilt der Rat die Regelung der zeitweiligen, saisonalen Zuwanderung in niedrig qualifizierte Tätigkeiten. 2010 wurden den Angaben zufolge in 289.000 Fällen Arbeitskräfte nach Deutschland vermittelt, die nach dem Ende ihrer befristeten Tätigkeit das Land wieder verlassen haben. Darüber hinaus seien 2009 rund 16.000 Fachkräfte mit teilweise zunächst befristeter Aufenthaltsperspektive zugewandert. Dies sei freilich immer noch zu wenig. (epd/dpa)