Die Liberalen halten am Wirtschaftsminister fest – noch. Denn auch Guido Westerwelle sitzt als Parteichef der FDP nicht fest im Sattel.
Berlin. Rainer Brüderle ist zum Problembär der schwarz-gelben Bundesregierung geworden. Der liberale Wirtschaftsminister gilt als leutselig, fröhlich, optimistisch. Den Anfang der Amtszeit bewältigte er trotz der Skepsis gegenüber seiner unkonventionellen Art überraschend gut. Doch eine Sitzung hinter verschlossenen Türen hat aus dem umgänglichen Minister einen Problemfall gemacht. Das Protokoll eines Treffens beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wurde ihm zum Verhängnis. Die Affäre um seine vermutlich wahrheitsgemäßen Worte – die Atomwende der Bundesregierung sei den Landtagswahlen geschuldet – haben Brüderle noch vor Außenminister Guido Westerwelle zum ersten Abschusskandidaten auf der Liste prominenter FDP-Spitzen gemacht.
Am Montagabend kündigte Brüderle an, den Landesvorsitz in Rheinland-Pfalz aufzugeben. Und so verklausuliert wie er das tat, gab einen Eindruck davon, wie zerknirscht er ist.
Und der scheidende Ministerpräsident von Baden-Württemberg machte Brüderle auch verantwortlich für das Wahlergebnis: „Wenn ich ihn treffe, werde ich mich persönlich bei ihm bedanken“, sagte Stefan Mappus nach Angaben von Teilnehmern in der CDU-Präsidiumssitzung ironisch mit Verweis auf umstrittene Brüderle-Äußerungen zur Atomenergie.
Der gefühlte Absturz von Brüderle ist messbar – von 96,1 Prozent auf 4,2 Prozent. Vor zwei Wochen war das liberale Urgestein noch mit einem Traumergebnis als Landeschef der rheinland-pfälzischen Liberalen wiedergewählt worden. Dann kam seine Atom-Protokollaffäre. Und die rheinland-pfälzische FDP flog mit ihrem zweitschlechtesten Ergebnis aus dem Landtag.
Bereits am Sonntagabend wurden erste Gerüchte gestreut, dass der 65-Jährige von einflussreichen Liberalen als einer der Sündenböcke für das schlechte Abschneiden der FDP in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ausgeguckt worden sei. Die bundesweite Empörung über Brüderles angebliche Atom-Beichte in einer Runde von Industriebossen hat viele in der Partei aufgebracht. Durch den Fauxpas, der durch Dementis von Brüderle und dem BDI nicht besser wurde, habe Rot-Grün im Wahlkampf-Endspurt noch einmal richtig Auftrieb bekommen, heißt es. Das FDP-Debakel in Rheinland-Pfalz, wo Brüderle seit 1983 unangefochtener Landeschef ist, mache ihn noch angreifbarer.
Wer den in der FDP bestens vernetzten Brüderle kennt, weiß aber, dass er nicht freiwillig alle Ämter hinwirft. Der Parteivize ist an der Basis beliebt, obwohl die Atom-Affäre und der Absturz in Mainz auch dort Spuren hinterlassen haben dürften. FDP-Chef Westerwelle machte am Montag aber klar, dass er nicht der Versuchung erliege, mit „Blitzableiter“-Entscheidungen auf die Wahlschlappen zu reagieren. Die FDP-Spitze werde in Ruhe überlegen und dann im April die Weichen für die künftige Führungsmannschaft stellen. Brüderle, dessen Verhältnis zu Westerwelle als angespannt gilt, könnte also mit einem blauen Auge davonkommen.
Anfangs von der Opposition als „Plaudertasche“ verspottet, änderte sich in Krisenzeiten seine öffentliche Wahrnehmung. Prinzipientreu setzte er sogar gegen Kanzlerin Angela Merkel sein Nein zu Staatshilfen für den Autobauer Opel durch. Bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Bankenkrise verschaffte sich der Volkswirt mit klugen Beiträgen Respekt und steigerte seine Popularität.
Er reifte gewissermaßen im Amt – und wird in der Wirtschaft als ehrliche Haut geschätzt. BASF-Chef Jürgen Hambrecht, der Brüderle schon kennt, als der FDP-Mann lange Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef war, sagte einmal: „Er weiß, wovon er spricht. Der Brüderle wird noch alle überraschen.“ Das ist dem überzeugten Marktwirtschaftler beim Atom-Thema unfreiwillig geglückt, weil ein an den Industrieverband BDI ausgeliehener Bundesbeamter beim Fukushima-Talk mit den Bossen eifrig protokollierte. Dies wird haften bleiben, gerade im Konkurrenzkampf mit Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), der jetzt gute Karten hat, die ursprüngliche Laufzeitverlängerung für die Atommeiler eingutes Stück zurückzudrehen.
Westerwelle sagt zu seiner eigenen Zukunft als Parteichef: Er leiste seine Arbeit „mit großem Engagement“ und „viel Herzblut“. Er warnte vor übereilten Entscheidungen als Reaktion auf den Wahlsonntag. Es müsse jetzt vielmehr einen „geordneten und überlegten Diskussionsprozess“ geben, um langfristig das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Es sei völlig klar, dass die Partei nicht einfach zur Tagesordnung übergehen könne. „Wir haben diesen Warnschuss verstanden“, sagte der Vizekanzler. (abendblatt.de/dpa/rtr)