Der frühere BDI-Topmann nimmt Schnappauf in Schutz. Ex-Wirtschaftsminister Marnette spricht von Panik vor den Landtagswahlen.
Berlin/Hamburg. Die Protokoll-Affäre um Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat ein erstes politisches Opfer gefordert: BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf ist zurückgetreten. Zwei Tage vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wuchs auch der Druck auf Brüderle selbst. Er soll – vermutlich völlig wahrheitsgemäß – in vertraulicher Runde beim BDI das Atom-Moratorium der Bundesregierung als Wahlkampfmanöver bezeichnet haben. So soll es sich in einer Sitzung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) am 14. März zugetragen haben. Du zwar am selben Tag, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die dreimonatige Aussetzung der Laufzeitverlängerung für die Reaktoren verkündete. Laut einem BDI-Protokoll wies Brüderle „erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien“.
Schnappauf hatte am Donnerstag erklärt, es handele sich um einen Protokollfehler und Brüderle sei nicht richtig wiedergegeben worden. Allerdings berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ am Freitag, Teilnehmer der fraglichen Sitzung hätten Brüderles Äußerung bestätigt. „Die Sätze sind so gefallen, sie sind im Protokoll zwar verkürzt, aber richtig wiedergegeben“, zitiert das Blatt ein BDI-Präsidiumsmitglied.
Der schleswig-holsteinische Ex-Wirtschaftsminister Werner Marnette (CDU) hat Brüderle in einem offenen Brief zu „Ehrlichkeit gegenüber dem Bürger“ gedrängt. In dem Schreiben, dass dem Hamburger Abendblatt (Sonnabendausgabe) vorliegt, fordert Marnette von dem Minister: „Es wäre jetzt Ihre Pflicht, folgendes zu erklären: Das Protokoll des BDI stellt meine Aussagen richtig dar und der BDI-HGF Schnappauf ist fälschlich beschuldigt worden.“
Weiterhin solle Brüderle laut offenem Brief öffentlich feststellen, dass die Moratoriums-Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel „ausschließlich der Panik vor den anstehenden Wahlen geschuldet“ war, schreibt Marnette, der bis 2005 auch zum Präsidium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) gehörte und heute als selbstständiger Unternehmer in Hamburg tätig ist.
Marnette sagte dem Abendblatt darüber hinaus: „Zwei Teilnehmer der Treffens beim BDI mit Wirtschaftsvertretern und Minister Brüderle am14. März haben mir bestätigt, dass das Protokoll der Sitzung die Äußerung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle korrekt wiedergibt.“ Brüderle habe demnach das Laufzeit-Moratorium der Bundesregierung tatsächlich als Wahlkampfthema bezeichnet. Marnette betonte: „Meiner Ansicht nach erschüttert er damit die Grundfesten der Demokratie.“
Schnappauf sagte: „Ich übernehme die politische Verantwortung für die Folgen einer Indiskretion, an der ich persönlich nicht beteiligt war, um möglichen Schaden für das Verhältnis von Wirtschaft und Politik abzuwenden.“ Schnappauf war früher als CSU-Politiker bayerischer Umweltminister und hatte sein Amt bei dem Industrieverband im November 2007 angetreten.
Brüderle hatte am Donnerstag die Vermutung zurückgewiesen, das Moratorium sei nur ein Wahlkampfmanöver. Worin genau der Protokollfehler gelegen haben soll, klärte er aber zunächst nicht auf.
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat den Rücktritt von Schnappauf als Farce bezeichnet. Früher sei jemand rausgeflogen, wenn er ein Protokoll gefälscht habe. „Heute fliegt er schon, wenn er richtig mitgeschrieben hat“, sagte Gabriel. „Früher mussten Politiker Angst davor haben, wenn sie beim Lügen erwischt wurden. Heute, wenn sie bei der Wahrheit ertappt werden“, betonte Gabriel. Er warf der Bundesregierung panische Reaktionen „aus Angst vor den bevorstehenden Landtagswahlen“ vor.