Der historische Wahltag läutet nach Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb die dritte Phase der Kanzlerin ein.
Der Triumphzug der Grünen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz markiert eine Zäsur in der deutschen Politik. Die einstigen Sonnenblumen-Kinder und Öko-Freaks sind nun endgültig in der bürgerlichen Mitte angekommen, stellen mit hoher Wahrscheinlichkeit erstmals einen Ministerpräsidenten, und das ausgerechnet im Stammland der Union. Von einer Schlappe für Merkel wird in den nächsten Tagen die Rede sein, von einer Quittung für die inhaltlich zwar richtige, aber handwerklich dilettantisch umgesetzte Wende in der Atom-Politik und den diplomatischen GAU in der Frage des Kriegseinsatzes in Libyen. Das alles ist richtig - und doch hat die Kanzlerin auf ihrem Denkzettel längst etwas anderes, wesentlich Richtungweisenderes notiert: Angela Merkel wird von heute an schwarz-grün ticken.
Nach dem Zweckbündnis Schwarz-Rot und der glück- und inzwischen perspektivlosen schwarz-gelben Koalition, der die Kanzlerin in Berlin vorsteht, ist sie nun erneut auf ihr unbestrittenes Talent als politisches Chamäleon angewiesen. Denn ohne eine deutliche Hinwendung zu den Grünen hat sie für die nächste Bundestagswahl bald gar keine Machtoption mehr.
Die FDP fällt aus, weil sie sich durch eine unverantwortliche, in aller Öffentlichkeit ausgetragene Führungsdebatte und den durch ihren Wirtschaftsminister Rainer Brüderle verursachten Störfall kurz vor der Wahl - er sprach plötzlich davon, dass die Atom-Wende nur ein Wahlkampftrick sei - selbst in den Abgrund gestürzt hat. Die Liberalen werden erst einmal nicht mehr gebraucht: Wirtschaftliche Vernunft gibt es auch in Union und SPD, und alle weiteren thematischen Festlegungen glauben ihnen die Bürger entweder sowieso nicht mehr, oder es gibt bei den anderen Parteien sehr ähnliche und glaubwürdigere Positionen.
Die SPD, die sich zwar erst einmal in die Rolle des Juniorpartners der Grünen wird einfinden müssen, geht nach der absoluten Mehrheit in Hamburg, dem soliden Abschneiden in Sachsen-Anhalt und den beiden Regierungsbeteiligungen im Südwesten gestärkt in die Zukunft. Wenn die Genossen jetzt noch die letzte Hürde auf dem Weg zum angestrebten Linksbündnis - SED-Geschichte hin oder her - nehmen und auch auf Bundesebene Koalitionen mit der Linkspartei im Post-Lafontaine-Zeitalter nicht mehr ausschließen, sind sie für die Union auf viele Jahre hinaus kein Partner mehr.
Das alles wird die Kanzlerin für diesen Wahlsonntag vorausgesehen haben. Deshalb greift die Kritik, sie habe in der Atom- und der Libyen-Frage ganz offenbar ihre Fähigkeit verloren, einen Sachverhalt vom Ende her zu denken, zu kurz. Spät, aber gerade noch rechtzeitig für ihren eigenen Machterhalt hat sie mit der Atom-Wende die Grundlage dafür gelegt, dass ihr erst kürzlich erneuertes Wort, Schwarz-Grün auf Bundesebene sei "ein Hirngespinst", plötzlich ganz altmodisch wirkt. Es bezog sich hauptsächlich auf die unterschiedlichen Auffassungen beider Parteien in der Energiepolitik, vor allem im Hinblick auf die Laufzeiten der Atomkraftwerke. Dieser Punkt spaltet Schwarz und Grün nun nicht mehr.
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Eine verkleinerte Bundeswehr und lieber keine Kriegseinsätze wie in Libyen - das ist im Kern grüne Politik. Womöglich ist diese Bundeskanzlerin, im Osten sozialisiert, ethisch und moralisch im kirchlichen Kontext gefestigt und eine Virtuosin nicht der Vision, sondern des Machbaren, mit dieser Agenda näher bei sich als jemals zuvor. Für ihre Partei, die nach der Selbstzerfleischung wegen des verlorenen historischen Wahltages zu kühler Analyse zurückkehren wird, bedeutet das: Merkels erneute Metamorphose auch dieses Mal wieder mitmachen - oder nach Baden-Württemberg auch noch das Kanzleramt verlieren.