Ein Überraschender Vorstoß von Generalsekretär Lindner sorgt für Unmut in der Union. Personaldebatte bei den Liberalen wird lebhafter.
Berlin. "Der Ausstieg aus der Kernenergie ist zum jetzigen Zeitpunkt ökonomisch und ökologisch falsch", hieß es vor anderthalb Jahren im Bundestags-Wahlprogramm der FDP. Inzwischen ist nicht nur der Begriff "Brückentechnologie" in Berlin verpönt, sondern zwei Tage nach den verlorenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kann es den Liberalen mit dem Einstieg in den Ausstieg gar nicht schnell genug gehen.
FDP-Generalsekretär Lindner will die acht Meiler, die unter das am 15. März von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verhängte dreimonatige Atom-Moratorium fallen, für immer abschalten. Lindner forderte gestern eine entsprechende sofortige Vereinbarung mit der Atomindustrie. Jetzt müsse "rasch Rechtssicherheit" geschaffen werden, sagte Lindner. Orientieren könne man sich dabei an den von Rot-Grün geführten Konsensgesprächen des Jahres 2000. Eine Übertragung von Reststrommengen auf jüngere Meiler solle es nicht geben. Lindners Vorstoß provozierte Widerspruch in der eigenen Partei - Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle erklärte, er sei auch für einen schnellen Umbau in der Energiepolitik, dieser Umbau müsse aber auch "machbar" sein - und sorgte für Unmut beim Koalitionspartner.
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte in der ARD, in den kommenden Wochen gehe es erst einmal um einen "Fakten-Check". Unionsfraktionschef Volker Kauder rief zu Ruhe und Besonnenheit auf. "Ich kann nicht einen Moratoriumsprozess beginnen und dann denen, die daran arbeiten, jetzt sagen: 'Ich weiß schon, wie es geht, ihr bräuchtet eigentlich gar nicht zu arbeiten'", erklärte Kauder. So könne man nicht miteinander umgehen.
Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) sagte, er gehe davon aus, dass Mitte Mai nähere Erkenntnisse vorlägen, was die älteren Meiler angehe. Auf Basis dieser Fakten werde man dann in den Ländern entscheiden, ob die stillgelegten Kernkraftwerke wieder ans Netz gingen. Aus McAllisters Sicht steht man noch am Anfang des "Diskussions- und Erkenntnisprozesses". Tatsächlich hatten sich die Berliner Regierungsparteien unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima darauf verständigt, die Ergebnisse einer technischen Untersuchungskommission sowie eines eigens eingesetzten Ethikrates abzuwarten.
Unterdessen wurde in der FDP der Ruf nach personellen Konsequenzen lauter. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte im Deutschlandradio Kultur, die Partei brauche Veränderungen in den Führungsgremien. Allerdings rede man jetzt nicht "hektisch" über die Zukunft des Parteivorsitzenden Guido Westerwelle. Die FDP wolle sich nicht "zerfleischen". Der Altliberale Gerhart Baum forderte Vertreter der jungen Generation wie Nordrhein Westfalens Landeschef Daniel Bahr, Gesundheitsminister Philipp Rösler und Generalsekretär Lindner in der ARD auf, mehr Macht an sich zu reißen.
Der ehemalige Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt empfahl seiner Partei mit Blick auf den Mitte Mai in Rostock stattfindenden Bundesparteitag eine "gründliche Inventur". Personelle Veränderungen seien nicht angenehm, sagte Gerhardt im Deutschlandfunk, aber unumgänglich. Für die FDP gehe es um Sein oder Nichtsein. Auch inhaltlich müsse die Partei jetzt neue Wege gehen, meinte Gerhardt. Die Energiewende sei nun offenbar. Jenseits davon müssten die Liberalen klar machen, dass sie mehr seien als eine Steuersenkungspartei.