„Keiner sollte an seinem Posten kleben.“ Die potenziellen Nachfolger bringen sich mit Häme gegen Westerwelle bereits in Stellung.
Hamburg. Das Hauen und Stechen um die Führung in der FDP hat begonnen, noch ehe Parteichef Guido Westerwelle zurückgetreten ist – oder überhaupt verkündet hätte, dass er sein Amt aufgibt. Während er in China weilt und nach Japan weiterreisen will, das sich derzeit durch die Atomkatastrophe von Fukushima in einer schweren Krise befindet, wetzen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Fraktionschefin Birgit Homburger und andere die Messer. Haben sie selbst Interesse am Amt des FDP-Chefs? Dafür haben viele in der Partei eigentlich Generalsekretär Christian Lindner vorgesehen. Auch die „Young Boys Group“ um Daniel Bahr (FDP-Chef in NRW) und Philipp Rösler (Gesundheitsminister) soll eine tragende Rolle in der Nach-Westerwelle-Ära übernehmen.
Leutheusser-Schnarrenberger erhöhte den Druck auf Westerwelle. „Keiner sollte an seinem Posten kleben“, sagte die bayerische FDP-Vorsitzende dem „Münchner Merkur“. Westerwelle habe ein gutes Gespür für die Lage der Partei. Das klang beißend ironisch, wenn nicht hämisch. „Da gibt es ein erhebliches Grummeln an der Basis.“ Die FDP-Spitze erwägt laut „Süddeutscher Zeitung“ deshalb, die Entscheidung über ihre Führungsmannschaft und damit das Schicksal von Westerwelle bereits am kommenden Montag zu fällen.
Es sei denkbar, dass das Parteipräsidium schon am 4. und nicht erst am 11. April über eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung berate, berichtet das Blatt unter Berufung auf Parteikreise. Die Frage müsse so schnell wie möglich gelöst werden, denn die Diskussion erschwere inzwischen die Arbeit der FDP-Minister im Kabinett und destabilisiere so die schwarz-gelbe Bundesregierung. Westerwelle sei bereit, sein Vorsitzendenamt auf dem Bundesparteitag in Rostock im Mai abzugeben, wenn sich ein geeigneter Nachfolger fände. Er wolle aber auf alle Fälle Außenminister bleiben.
Leutheusser-Schnarrenberger forderte ein geordnetes Prozedere bei einem Führungswechsel: „Wichtig ist, dass wir fair miteinander umgehen. Wir dürfen keinen Scherbenhaufen hinterlassen.“ Auf die Frage, ob Westerwelle auch als Außenminister infrage stehe, sagte sie: „Nein, wir reden jetzt nur über die Erneuerung der Parteispitze.“ Zugleich warnte Leuheusser-Schnarrenberger vor Vereinfachungen: „Wir machen es uns zu leicht, wenn wir einen Sündenbock oder ein Bauernopfer suchen, dem man alles zuschiebt.“
Der frühere FDP-Vize Walter Döring übte wiederum Kritik an Generalsekretär Christian Lindner, der als möglicher Nachfolger von Westerwelle gehandelt wird. „Natürlich hat Lindner großes Potenzial, aber das reicht nicht für den Job des Parteichefs“, sagte Döring „Spiegel online“. „Er hat noch nicht das Zeug dazu.“ Westerwelle dagegen habe „als Einziger die Statur, den Laden noch halbwegs zusammenzuhalten“. Deshalb laute sein Rat: „Einfach mal die Klappe halten, intensiv nachdenken und dann richtig durchstarten.“
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler plädierte für eine Umbildung des Bundeskabinetts. „Die Koalition braucht nach den verheerenden Wahlergebnissen einen Neustart, sowohl inhaltlich als auch personell“, sagte der Sprecher der Gruppierung Liberaler Aufbruch „Handelsblatt Online“. Die Koalition müsse die Steuerzahler in den Fokus ihrer Politik rücken.
Bundestags-Fraktionschefin Birgit Homburger sagte der „Rheinischen Post“: „In der Tat können wir nicht so weitermachen wie bisher: Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, sowohl inhaltlich wie personell.“ Wenn sie von „alles“ spreche, meine sie damit selbstverständlich auch den Parteivorsitzenden. Sie selbst werde auch in ihrer Funktion als FDP-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg weitermachen. „Ich wurde massiv gebeten, jetzt nicht von Bord zu gehen“, sagte Homburger.
Der sächsische FDP-Vorsitzende Holger Zastrow sagte im Deutschlandfunk: „Ich vertraue auf Guido Westerwelle.“ Dieser habe in den vergangenen Jahren immer das richtige Gespür entwickelt und die FDP „vom Mief“ befreit, eine Klientelpartei zu sein.
In der Frage der schnellen Stilllegung alter Atomkraftwerke driftet die FDP-Spitze auseinander. Homburger distanzierte sich in der „Rheinischen Post“ von der Forderung des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner, die acht im Rahmen des Moratoriums stillgelegten Atommeiler nie mehr als Netz gehen zu lassen: „Das kann, muss aber nicht das Ergebnis sein.“ Lindner habe nur „in der laufenden Debatte seine Position formuliert“, sagte Homburger. Die Diskussion müsse „viel gründlicher geführt werden. Mit mir wird es auf keinen Fall eine Lösung geben, bei der wir Strom aus unsichereren ausländischen Kernkraftwerken importieren.“
FDP-Vize Cornelia Pieper hatte am Donnerstag angekündigt, nicht mehr zur Wahl als stellvertretende Bundesvorsitzende anzutreten. Sie verzichte auch auf eine weitere Amtszeit als FDP-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt, sagte Pieper der „Mitteldeutschen Zeitung“. Sie wolle sich künftig auf ihre Arbeit als Staatsministerin im Auswärtigen Amt konzentrieren. Für den Bundesvorstand will sie aber erneut kandidieren. Zur Frage eines Rückzugs Westerwelles sagte Pieper, dass sie ihn für alternativlos halte. „Aber das entscheidet zunächst einmal er persönlich und dann der Parteitag.“
Der hessische Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn sagte im „Darmstädter Echo“: „Er muss nicht zurücktreten, weil seine Amtszeit am 13. Mai dieses Jahres ausläuft.“ Der frühere FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt rief zu einem Generationswechsel auf. „Es muss jeder, der Bundesvorsitzender oder Mitglied des Präsidiums ist, für sich selbst entscheiden, ob er die Aufgabe in der Zukunft noch wahrnehmen will“, sagte er. (ryb/dpa/dapd/rtr)