Winfried Kretschmann dürfte Stefan Mappus als Ministerpräsident ablösen. Ausschreitungen am Hauptbahnhof wegen Stuttgart 21.

Stuttgart/Hamburg. Der Machtwechsel nach fast 58 Jahren wird amtlich: Das vorläufige Endergebnis der für Grüne und SPD historischen Landtagswahl Wahl in Baden-Württemberg steht fest. Gemeinsam kommen sie auf 71 Sitze. Die bisherige schwarz-gelbe Koalition verfügt nur über 67 Sitze. Stärkste Fraktion bleibt die CDU mit 60 Sitzen und einem Wahlergebnis von 39,0 Prozent der Stimmen. Das sind 5,2 Prozentpunkte weniger als bei der Landtagswahl 2006. Zweitstärkste Partei wurden mit 24,2 Prozent die Grünen, die sich gegenüber 2006 um 12,5 Prozentpunkte verbesserten. Sie verfügen im neuen Landtag über 36 Sitze. Die SPD kam auf 23,1 Prozent der Stimmen (minus 2,0 Prozentpunkte) und darf 35 Abgeordnete ins neue Landesparlament entsenden. Die FDP schaffte mit 5,3 Prozent nur knapp den Einzug in den Landtag und verlor 5,4 Punkte. Sie stellt im neuen Landtag 7 Abgeordnete. Die Linke verfehlte den Einzug ins Parlament.

Vermutlich wird damit ein Grüner erstmals Ministerpräsident in einem deutschen Bundesland: Winfried Kretschmann, 62. Allerdings sorgten vor allem mögliche Überhangmandate für die CDU noch für Spannung. Der bisherige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) wünschte jedoch bereits SPD und Grünen „für die Erfüllung des Regierungsauftrags alles Gute“. Für die CDU bleibe nun die Oppositionsrolle.

Am Wahlabend in Baden-Württemberg ist es am Stuttgarter Hauptbahnhof zu Ausschreitungen gekommen. Mehrere Dutzend Gegner des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 stießen am Sonntagabend Bauzäune eines abgesperrten Geländes am Nordflügel des Hauptbahnhofs um. Die Aktion ereignete sich während der von den sogenannten Parkschützern organisierten „Mappschiedsparty“ am Schlossplatz. Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot am Nordflügel an und begann, das Gelände wieder abzuriegeln.

Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Grün-Rot und Schwarz-Gelb hat bei der Landtagswahl im Südwesten die Wahlbeteiligung nach oben getrieben. Sie erreichte den höchsten Stand seit 15 Jahren. Mit 66,2 Prozent lag sie mehr als zehn Prozentpunkte über der letzten Wahl zum Landesparlament (2006: 53,4). Mappus kündigte an, er wolle seinen Teil dazu beitragen, dass die Partei „inhaltlich und personell den dazu notwendigen Neubeginn starten“ werde. Einzelheiten wolle er erst am Montag nennen. Stärkste Kraft in Baden-Württemberg bleibt trotz klarer Verluste die CDU.

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Rechnerisch wäre zwar auch ein schwarz-grünes Bündnis oder eine Große Koalition möglich. In wichtigen Fragen wie der Atompolitik gibt es aber große Meinungsverschiedenheiten zwischen der CDU und den beiden auf den nächsten Plätzen folgenden Parteien.

Außerdem haben sich Grüne und SPD im Wahlkampf als Wunschpartner bezeichnet. Grünen-Spitzenkandidat Kretschmann sagte: „Ministerpräsident wird der, der die stärkste Fraktion hinter sich hat.“ Die Grünen seien bereit und fähig, Regierungsverantwortung zu übernehmen. SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid betonte: „Schwarz-Gelb ist abgewählt.“ Es gebe einen klaren Regierungsauftrag für SPD und Grüne.

Die schwarz-gelbe Koalition in Baden-Württemberg war zunächst wegen des umstrittenen Bahnprojekts „Stuttgart 21“ unter Druck geraten. In den vergangenen Wochen brachte dann die Atomkatastrophe in Japan vor allem den klaren Kernenergie-Befürworter Mappus in Erklärungsnöte. Mappus wandte sich gegen „Schuldzuweisungen“ in Richtung Berlin. Er selbst trage die Verantwortung für das Wahlergebnis. Mappus betonte, auch den Kurs Angela Merkels in der Atompolitik teile er „voll und ganz“. Die FDP-Landesvorsitzende, Bundestagsfraktionschefin Birgit Homburger, sagte: „Das Thema Japan hat alles andere überlagert.“ Der FDP-Spitzenkandidat Ulrich Goll betonte, die Leistung der Landesregierung habe „keine Rolle bei dieser Wahl gespielt“.

Die Grünen haben außerdem erstmals bei einer Landtagswahl in Baden-Württemberg Direktmandate erzielt. Neun Wahlkreise gingen an die Grünen. In Heidelberg setzte sich die Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Theresia Bauer, durch. Im Mannheimer Süden gelang dem Gemeinderat Wolfgang Raufelder der Erfolg. Im Wahlkreis Stuttgart IV gewann die Landtagsabgeordnete Brigitte Lösch und in Freiburg II die Landtagsabgeordnete Edith Sitzmann.

Der wahrscheinlich scheidende Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat sein Direktmandat in Pforzheim verteidigt. Mit einem Ergebnis von 44,5 Prozent blieb er über dem Landesschnitt und verlor im Vergleich zur Landtagswahl 2006 1,4 Punkte. Die großen Gewinner sind auch in seinem Kreis die Grünen, die ihr Ergebnis auf 19,0 Prozent mehr als verdoppelten. Auch CDU-Fraktionschef Peter Hauk konnte seinen Wahlkreis Neckar-Odenwald halten. Er erreichte 48,4 Prozent und verlor mit 5,3 Punkten mehr als Mappus.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat den Sieg von Rot-Grün bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg als „Sensation“ bezeichnet. „Das werden auch die konservativen Wähler so empfinden“, sagte Steinmeier in der ARD. „Nach fast 60 Jahren ein Regierungswechsel und dann von Rot-Grün, das ist eine Sensation.“ Zu dem knappen Vorsprung der Grünen und der Aussicht, dass nicht die SPD, sondern die Grünen den Ministerpräsidenten in Stuttgart stellen werden, sagte Steinmeier: „Also von Wermutstropfen möchte ich überhaupt nicht sprechen.“

Mit Material von dpa/dapd/rtr