Der wissenschaftliche Nachwuchs fühlt sich in der Plagiatsaffäre Guttenberg verhöhnt. Gräfin von Thurn und Taxis: „Ich habe auch abgeschrieben.“
Berlin/München. Wissenschaftler haben vor dem Kanzleramt einen von 23.000 Doktoranden unterzeichneten Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übergeben, in dem sie Merkel in der Plagiats-Affäre um Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine „Verhöhnung“ aller wissenschaftlichen Hilfskräfte vorwerfen. Ihre Haltung in der Debatte über die Dissertation von Verteidigungsminister Guttenberg lege nahe, „dass es sich beim Erschleichen eines Doktortitels um ein Kavaliersdelikt handele“, heißt es in dem Schreiben. Die Initiatoren kritisieren insbesondere die Aussage Merkels, dass sie Guttenberg als Minister bestellt habe „und nicht als wissenschaftlichen Assistenten“. Die Doktoranden beklagen, „wir haben den Eindruck, dass Sie mit aller Macht versuchen, einen Minister zu halten, der trotz massiver Gegenbeweise immer noch die Behauptung aufrecht erhält, er habe in seiner Doktorarbeit nicht bewusst getäuscht.“ Dabei habe Guttenberg große Teile seiner Dissertation „zusammenkopiert und Quellen vertuscht, um sich den Doktortitel zu erschleichen, mit dem er dann nicht zuletzt auf Wahlplakaten geworben hat“.
Einer der Initiatoren des Briefes, Tobias Bunde, sagte, die Kanzlerin spreche stets von der Bildungsrepublik Deutschland. „Nach ihrem Umgang mit der Affäre Guttenberg fragen wir uns aber schon, ob man das noch ernst nehmen kann.“ Der Brief mit der Unterschriftenliste wurde vor dem Kanzleramt von einem Mitarbeiter der Poststelle in Empfang genommen. Bunde betonte, er hoffe, dass Merkel die 100.000ste Unterschrift selbst annehme, falls die Affäre überhaupt noch so lange dauere.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) zeigte Verständnis für den Unmut von Wissenschaftlern über Guttenberg. Schavan sagte der „Süddeutschen Zeitung“, dass sie sich als Wissenschaftlerin, die vor 30 Jahren selbst promoviert habe, „nicht nur heimlich schäme“ für das, was passiert sei. „Und das wird Karl-Theodor zu Guttenberg nicht anders gehen.“
Den Entzug von Guttenbergs Doktortitel durch die Universität Bayreuth halte sie für richtig. „Das ist die Antwort der Wissenschaft auf die Analyse der Arbeit“, sagte die Ministerin. Guttenberg wird vorgeworfen, große Teile seiner Doktorarbeit ohne Kennzeichnung der Quellen aus anderen Werken übernommen zu haben. Die Universität müsse nun entscheiden, ob sie von einer bewussten Täuschung ausgehe, sagte Schavan weiter. Der Politik stehe es gut an, sich in ein laufendes Verfahren nicht durch öffentliche Stellungnahmen einzumischen.
Zugleich kritisierte Schavan, die Debatte im Bundestag habe unter „Maßlosigkeit auf allen Seiten“ gelitten. „Der Opposition ging es vor allem darum, den Kopf des Ministers als Trophäe aus der Debatte zu tragen“, kritisierte sie. Andere hätten den Eindruck erweckt, als müsse man alles nicht so ernst nehmen. Schavan betonte, dass für Guttenberg das gleiche gelte wie für jeden Menschen und er deshalb eine zweite Chance verdient habe, zumal er ein großes politisches Talent sei. „Wir wissen, dass das nicht der erste Fall ist, in dem jemand gute politische Arbeit leistet und zugleich in einem anderen Bereich seines Lebens Schuld auf sich genommen hat.“
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer zeigte sich verärgert über die Kritik von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) an Guttenberg. Lammerts Reaktion auf die Vorwürfe sei „unangemessen“. Lammert soll unter anderem gesagt haben, die Affäre um Guttenbergs in Teilen abgeschriebene Doktorarbeit und ihre Begleitumstände seien „ein Sargnagel für das Vertrauen in unsere Demokratie“.
Die bayerische Adlige Gloria von Thurn und Taxis hält die Angelegenheit für übertrieben. Sie sagte laut „Focus“, dass sie sich nur wenig mit den akademischen Gebräuchen auskenne: „Ich habe ja noch nicht mal das Abitur. Das Einzige, was ich sagen kann: Ich habe häufig abgeschrieben. Sonst wäre ich ja auch nicht bis zur mittleren Reife gekommen!“
Guttenberg selbst sieht sich durch die anhaltenden Attacken in der Plagiats-Affäre um seinen Doktortitel im Amt nicht beeinträchtigt. „Meine Arbeitskraft, was die Bundeswehr anbelangt, ist vollends gegeben. Ich habe dieses Amt auszufüllen und fülle das mit Freuden auch entsprechend aus“, sagte Guttenberg vor einer CSU-Vorstandssitzung in München. Der Minister kündigte bereits für kommende Woche die nächsten Schritte bei der Bundeswehrreform an. Hier stünden in Kürze Entscheidungen an, und diese Entscheidungen werde er „aller Voraussicht nach ab nächster Woche treffen“, sagte er. „Und deswegen sind wir im Zeitplan und bleiben auch entsprechend hart an der Sache.“
Berichte, nach denen seine Reformpläne im Bundeskanzleramt auf Widerstand stoßen, wies Guttenberg zurück. „Das scheint mir ein Papier zu sein, das vor Wochen schon mal herumschwirrte und das keine Aktualität mehr hat.“ Der „Spiegel“ hatte berichtet, die Experten von Kanzlerin Merkel hielten die Vorschläge aus dem Ministerium für eine „nur sehr rudimentäre und unausgewogene Grundlage für Entscheidungen zur Reform der Bundeswehr“. Das Magazin berief sich auf einen Vermerk vom Dezember 2010. (dpa/dapd/AFP)