Tausende promovierte Guttenberg-Gegner schreiben an Merkel und fordern seinen Rücktritt. Kritik am CSU-Minister gibt es auch in der Union.
Berlin. Es ist schon dunkel, als sich Tobias Bunde am Sonntagabend auf den Weg zum Kanzleramt macht. Mit einem Brief in der Hand und einiger Empörung im Bauch. "Es stehen die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens auf dem Spiel", sagt der 27-jährige Doktorand. Seit einem Jahr arbeitet er an seiner Dissertation im Fach Politikwissenschaft. Und er tut das so, wie er es bereits im ersten Semester gelernt hat. Mit einer korrekten Zitierweise und allen erforderlichen Fußnoten.
Dass Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) genau das in seiner Doktorarbeit nicht immer getan hat, ärgert Bunde. So sehr, dass er nach dem Auftritt des Ministers in der Aktuellen Stunde des Bundestages am vergangenen Mittwoch einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgesetzt hat. In Zusammenarbeit mit ein paar Gleichgesinnten und Kollegen ist daraus eine ausgefeilte Kritik geworden: "Wir haben den Eindruck", heißt es darin, "dass Sie mit aller Macht versuchen, einen Minister zu halten, der trotz massiver Gegenbeweise immer noch die Behauptung aufrechterhält, er habe in seiner Doktorarbeit nicht bewusst getäuscht." Und weiter: "Es handelt sich um massive, systematische Täuschung. Zu Guttenberg hat große Teile seiner Dissertation - und dies offenbar mit großem Ehrgeiz - zusammenkopiert und Quellen vertuscht, um sich den Doktortitel zu erschleichen, mit dem er dann nicht zuletzt auf Wahlplakaten geworben hat."
Am Freitag haben Bunde und seine Kollegen den Brief ins Internet gestellt. "Bis Sonntagabend 17.45 Uhr haben 19 354 Menschen unterschrieben", sagt Bunde. "Und pro Minute kommen zehn bis 15 Unterzeichner dazu." Die meisten der Unterstützer sind selbst Doktoranden oder haben ihre Dissertation bereits abgeschlossen. Einige sind auch ohne Doktortitel Unterstützer der Forderungen. "Die Resonanz ist riesig", sagt Bunde. "Tausende Menschen sehen die politische Kultur in Deutschland in Gefahr." Seine Forderung: "Die Kanzlerin muss sich deutlich positionieren und die Bildungsrepublik Deutschland verteidigen. Konkret heißt das, sie muss Guttenberg entlassen." Gestern Abend hat Bunde den Brief mit seinen Kollegen im Kanzleramt abgegeben - wegen der absehbaren Papiermasse vorerst ohne die 20 000 Unterschriften, die im Internet einsehbar sind. Sogar Angehörige der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg und der Führungsakademie der Bundeswehr, ebenfalls in der Hansestadt gelegen, finden sich darunter. Auch unter aktuellen und ehemaligen Studenten der Bundeswehr-Universität in München gibt es Unterzeichner.
Doch auch an den Spitzenpositionen ist der wissenschaftliche Betrieb in Aufruhr. Besonders klare Worte fand am Wochenende der Bayreuther Jura-Professor Oliver Lepsius, der den Lehrstuhl von Guttenbergs inzwischen emeritierten Doktorvater übernommen hat: "Wir sind einem Betrüger aufgesessen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner, warnte davor, Plagiate in der Wissenschaft als Kavaliersdelikt zu verharmlosen. Geistiges Eigentum in der Wissenschaft sei genauso wertvoll wie materielles Eigentum, sagte Kleiner dem "Tagesspiegel". Am Sonnabend haben zudem rund 400 Menschen vor dem Verteidigungsministerium in Berlin demonstriert. Angemeldet war die Aktion laut Polizei unter dem Motto "Protest gegen das ehrlose Verhalten des Verteidigungsministers, der Bundeskanzlerin und der Regierungsfraktionen im Bundestag". Die Demonstranten hatten alte Schuhe dabei, die sie in Anspielung auf dieses Protestsymbol in der arabischen Welt erst in die Luft hielten und dann auf den Zaun des Ministeriums spießten.
Trotz der Vorwürfe gegen den Bundesverteidigungsminister sprach sich in mehreren Umfragen für "Focus" und "BamS" eine Mehrheit der Befragten weiterhin gegen einen Rücktritt Guttenbergs aus. Forsa-Chef Manfred Güllner sagte dazu im Deutschlandradio, Guttenberg habe ein so großes Sympathiepolster, dass es erst langsam schmilzt. Inzwischen gebe es aber schon "deutliche Sympathie-Dellen, und ich denke, dass dieses Sympathiepolster schon langsam, aber eben erst langsam abschmelzen wird".
Unterdessen distanzierte sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) als erster Parteifreund von Guttenberg. Böhmer sagte, er halte es für fraglich, ob der Verteidigungsminister noch lange dem politischen Druck standhalten könne. "Es wird immer Menschen geben, die ihm die Fehler bei seiner Doktorarbeit in der Öffentlichkeit genüsslich vorwerfen. Und ich weiß nicht, wie lange er das erträgt und aushalten kann", sagte Böhmer dem "Tagesspiegel am Sonntag". Guttenbergs Verhalten halte er für "weder für legitim noch für ehrenhaft". Doch sei das kein Grund für einen Rücktritt von seinem Amt als Verteidigungsminister, so der Ministerpräsident.