Harburg/Neu Wulmstorf. Mitglieder der Harburger Gemeinden kämpfen gegen politische und finanzielle Hindernisse beim Bau eines Gebetshauses. Was sie antreibt.
Fatih Şimşek ist ein junger Student aus Neu Wulmstorf. Täglich muss er pendeln. Nach Harburg, um Veranstaltungen an der Technischen Universität (TUHH) zu besuchen. Und nach Neuenfelde, um seinem Glauben in der Moschee nachzugehen. Islamische Gebetsräume sind in seinem Heimatort bislang Fehlanzeige. Auch deswegen hilft er beim Bau der Moschee in Neu Wulmstorf tatkräftig mit – und erzählt von Herausforderungen und Hoffnung.
Zurzeit engagiert sich Şimşek als Jugendgruppenleiter in der Islamischen Gemeinde Neu Wulmstorf, die sich Ende 2022 gegründet hat. Ehrenamtlich organisiert er Aktivitäten für jüngere Muslime, besucht mit ihnen das Altersheim oder geht zur Blutspende. Geld verdient er damit nicht. „Für mich ist das keine Last. Im Gegenteil: Es ist Arbeit, die einen ermutigt“, so der Student. Positive und wertschätzende Reaktionen der Gemeindemitglieder seien Belohnung genug.
Moschee-Bau in Neu Wulmstorf: Langsam, aber sicher
Dass Ehrenamt aber auch Herausforderungen birgt, kann und will Şimşek nicht leugnen. Das wohl beste Beispiel ist die geplante Moschee in Neu Wulmstorf: Auch hier wird buchstäblich auf Ehrenamt gebaut, eine Firma soll aus Budgetgründen nur im Notfall hinzugezogen werden. Klempner und Fliesenleger etwa stammen aus den eigenen Reihen. Das spart zwar Geld, aber keine Zeit, so Şimşek: „Bisher ist erst der äußere Trockenbau fertig.“ Nicht zuletzt deshalb, weil die meisten Gemeindemitglieder tagsüber einer anderen Beschäftigung nachgehen müssen.
Über 20 Gemeinden in Norddeutschland – aber eine Gemeinschaft
Einer davon ist Sacit Dizman aus Neugraben. Dort und in Harburg ist er Gemeindemitglied. Als selbständiger Unternehmensberater kann er sich seine Zeit weitestgehend frei einteilen. Verschwenden will er sie aber nicht. „Gott hat mir Zeit geschenkt, um Sinnvolles zu tun.“ Diesen Sinn findet Dizman mitunter in seiner Position als stellvertretender Vorsitzender und Beauftragter für Dialog und Kooperationen von BIG e.V. Hinter der Abkürzung steckt das Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland – ein Zusammenschluss aus über 20 Moscheegemeinden in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg. Deren Finanzierung läuft über Mitgliedsbeiträge, Spenden und Eigeninitiative. Externe Zuschüsse gibt es nicht. Ist eine Gemeinde knapp bei Kasse, hilft eine andere aus.
Dabei ist es weitaus mehr als die Finanzierung oder das Gebet, was die knapp 10.000 Mitglieder verbindet. Denn Moscheegemeinden, so BIG e.V., „sind nicht nur Orte der gottesdienstlichen Handlungen, sondern auch Orte des sozialen Engagements, der religiösen Bildung sowie des Dialogs und der aktiven Teilhabe in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft“. Dafür steht das Bündnis den Gemeinden in rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Belangen zur Seite.
Moscheegemeinden Norddeutschland: Mehr als nur Religionsunterricht
Das Ergebnis: Soziale Dienste wie Seelsorge, Krankenhausbesuche oder Trauerbegleitung können in den Mitgliedsgemeinden übernommen werden. Auch in internationalen Hilfsprojekten ist der Dachverband nach eigener Aussage aktiv, etwa bei Initiativen zum Brunnenbau in Ländern mit mangelnder Wasserversorgung. Zudem ist BIG e.V. Träger von öffentlich geförderten Projekten zur Extremismusprävention, Demokratieförderung und Vielfaltsgestaltung.
Vielfalt ist auch bei künstlerischen und kulturellen Angeboten innerhalb der Gemeinden geboten. Malerei-Kurse oder Musikgruppen für traditionellen islamischen Gesang sind nur zwei Beispiele. Hinzu kommt der sunnitisch geprägte Religionsunterricht für Kinder und Jugendliche, den der Dachverband in den Gemeinden anbietet. Im Fokus: Koran und Sunna. Der Schrift folgen die Gemeinden laut BIG e.V. aber „nicht willkürlich“. Für Şimşek ist beispielsweise der Gegenwartsbezug entscheidend. „Ich versuche, die Schrift auf die heutige Demokratie zu beziehen. Das ist gut möglich – und kann sehr lehrreich sein.“
Islamische Gemeinden: Kostenlose Moscheeführungen – auch für Nicht-Muslime
Kontakt mit anderen religiösen Gemeinden wird ebenso großgeschrieben. Schließlich verstehen sich die Gemeindemitglieder „als Teil der Mitte der Gesellschaft“, heißt es vonseiten des Bündnisses. So auch Dizman: „Wir sind ein Teil Harburgs.“ Gelebt wird dieser Gedanke etwa mit dem Tag der offenen Moschee oder öffentlichen Veranstaltungen im Fastenmonat Ramadan. Gemeinsam mit Politikern, Dialogpartnern, Nachbarschaft und Freunden. Und unabhängig von der Religionszugehörigkeit.
„Wir sind ein Teil Harburgs“
„Unsere Gebetsstätten stehen jederzeit für Besucherinnen und Besucher jeden Hintergrunds offen, die in den täglichen Moscheeführungen Einblick in das Innenleben der Moscheen und ihrer Gemeinden erhalten möchten“, so BIG e.V. Ziel dessen sei es, Vorurteile ab- und Akzeptanz aufzubauen. Auch Şimşek bestätigt, jeder dürfe kommen.
Moschee Neu Wulmstorf: Fertigstellung im Frühjahr 2025?
Die Möglichkeiten der Gemeinde Neu Wulmstorf sind dahingehend jedoch begrenzt. Zumindest bisher. Dizman: „Die Moschee in Neu Wulmstorf wird vermutlich im zweiten Quartal des Jahres 2025 fertiggestellt.“ Noch gleicht das Grundstück in der Liliencronstraße 33 eher einer Großbaustelle als einer Moschee. Daher sei es der Gemeinde auch verwehrt geblieben, am 3. Oktober zum Tag der offenen Moschee einzuladen. „Schweren Herzens konnten wir nicht einmal ein Info-Zelt aufbauen. Das öffentliche Betreten der Baustelle wäre verantwortungslos gewesen.“
Politische Lage fordert Öffentlichkeitsarbeit – aber wie?
Informiert wird zurzeit vorwiegend über das Internet. Auf Instagram pflegt die Islamische Gemeinde Neu Wulmstorf einen eigenen Account, ein YouTube-Video zeigt die Baustelle. Insgesamt sind die Online-Beiträge jedoch rar gesät. Schuld sei auch hier die fehlende Zeit, bedauert Şimşek. Verstecken wollen sich die beiden Muslime allerdings nicht. „Begegnung ist das A und O“, so Dizman.
Şimşek nickt. Speziell wegen des AfD-Aufstiegs komme es nun darauf an, Ressentiments beizulegen. „Die Wahlergebnisse sind ein Signal, sich noch mehr zu zeigen.“ Nicht nur per Social Media, sondern auch in Präsenz. Gelingen soll das spätestens im kommenden Jahr, wenn der Moscheebau in Neu Wulmstorf weiter vorangeschritten ist. Öffentliche Einladungen rund um Ramadan und das Fastenbrechen Iftar seien dann bereits denkbar.
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So zumindest die Hoffnung der beiden Muslime. Bis daraus Realität wird, braucht es wohl aber noch die eine oder andere Pendelfahrt. Dizman und Şimşek sind sich den Herausforderungen bewusst, aber umso motivierter: „Irgendjemand muss das ja machen“, so der Student. „Außerdem glaube ich daran, dass ich im Jenseits für meine guten Taten belohnt werde.“ Dizman ergänzt: „Deutschland ist ein schönes und sicheres Land, die Gesellschaft hat mir viel gegeben. Mit meiner Arbeit gebe ich etwas zurück.“