Rotenburg/Wümme. Unterwegs in der Region – Autorin Carolin George hat sich auf den Weg gemacht und gibt Tipps für schöne Ausflüge
Eins gleich vorweg: Wer ein Fan von Trödel und Schnäppchen ist und heute noch nichts vorhat, kann jetzt spontan die Zeitung zusammenfalten, in den Rucksack packen und sie im Zug nach Rotenburg/Wümme weiterlesen. Denn am heutigen Sonnabend, 2. Juli, verteilt sich ein Flohmarkt über die gesamte Innenstadt.
„Der Hökermarkt ist eine echte Tradition in Rotenburg“, sagt Almuth Quehl. Sie ist die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Gästeführungen Rotenburg/Wümme und führt seit 15 Jahren Gruppen durch die Stadt und ihre Umgebung. „Den Hökermarkt gibt es seit mehr als 30 Jahren. Privatleute und die Betreiber der Innenstadtgeschäfte verkaufen in der gesamten Fußgängerzone ihre Waren. Die ganze Stadt freut sich darauf.“
Menschen in Rotenburg sind besonders freundlich
Doch auch wer an einem anderen Tag nach Rotenburg fährt, kann sich hier wohlfühlen: Zwar empfängt die Kleinstadt ihre Gäste nicht mit einem schmucken historischen Haus neben dem nächsten, wie es die kleinen Hansestädte in der nahen Umgebung tun. Und wer einfach nur so nach Rotenburg fährt, um sich ohne Ziel und ohne Tipps einfach so durch eine kleine hübsche Stadt treiben zu lassen, wird vermutlich eine Enttäuschung erleben: Denn die Stadt ist so häufig abgebrannt, dass die meisten Gebäude aus dem vergangenen Jahrhundert stammen – und kaum ein Auge von ihnen besonders fasziniert sein wird.
Dafür aber punktet Rotenburg an anderer Stelle: mit einem besonderen Klima und mit versteckten Orten zum Niederlassen. Almuth Quehl zeigt uns ihre Lieblingsorte – und erzählt uns, was sie am meisten mag an ihrer Wahlheimat. „Das Erste, was mir auffiel, als ich nach Rotenburg zog, war: Die Menschen hier sind total freundlich“, sagt die 62-Jährige. Und wie überraschend sie sein können, ergänzt sie und lacht: „Hier kann es Ihnen passieren, dass jemand auf Sie zukommt und Sie umarmt.“
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Mitten in Rotenburg sind die Rotenburger Werke ansässig, eine 1880 für Epileptiker gegründete, evangelisch-lutherische Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Die Stadt wuchs quasi um die ehemaligen „Anstalten“ herum, daher begegnen sich die Leute mit und die ohne Behinderung in der Innenstadt hier so gelassen wie selbstverständlich.
Almuth Quehl ist in Lüneburg zur Schule gegangen, hat in Göttingen Geschichte und Volkskunde studiert und lebt seit mehr als 20 Jahren in Rotenburg: Ihr Mann, Lehrer, bekam hier eine Stelle. Ihr Interesse an vergangenen Zeiten und historischen Zusammenhängen hat Quehl zu einer Art Hobby im Nebenberuf gemacht. Sie zeigt Gästen die schönsten Ecken von Rotenburg und erzählt dabei aus der Geschichte der Stadt.
Heimathaus verfügt über Bauern- und Biergarten
Startpunkt der Touren ist das Heimathaus. „Es liegt zwar ein bisschen außerhalb der Innenstadt, ist aber wunderschön“, sagt die Gästeführerin. Tatsächlich überrascht das Gelände rund um ein niedersächsisches Hallenhaus aus dem Jahr 1779 – aus dem Dorf Bellen nach Rotenburg umgesetzt – nicht nur mit einem nach historischem Vorbild angelegten Bauern-, sondern auch mit einem Biergarten, wie er idyllischer kaum sein könnte: mit Bänken unter alten Apfelbäumen mit Blick auf einen der typischen Speichergebäude einstiger Hofstellen. „Den Speicher nutzt heute der Imkerverein“, erzählt Almuth Quehl. „Im Biergarten organisiert die Kulturinitiative Rotenburg regelmäßig Live-Konzerte.“
Über die Mühlenstraße geht es vom Heimathaus in die Innenstadt. „Der Pferdemarkt war früher viel größer“, weiß Almuth Quehl. „Zu den Viehmärkten kamen die Leute in Sonderzügen nach Rotenburg.“ Heute liegt am Pferdemarkt das Radkontor, eine Fahrradwerkstatt der Rotenburger Werke. Das Café „Cafesitobar“ gleich nebenan wird von der Lebenshilfe Rotenburg-Verden betrieben.
Das älteste Haus der Stadt ist aus dem Jahr 1675
Über die Große Straße, bis 1989 Bundesstraße 75 (!) und jetzt Fußgängerzone, gelangen wir zum ältesten Haus der Stadt, das nach dem Kirchenmaler Rudolf Schäfer benannt ist: von 1675. Ein Stück weiter die Fußgängerzone hinauf kommen wir zum zweiten Lieblingsort von Almuth Quel: dem Stadtstreek. Der Kanal führt mitten durch die Stadt, steht sogar als wasserbautechnisches Denkmal unter Schutz.
Am Streek entlang laufen wir fast automatisch auf die Alte Apotheke zu, dem prächtigsten Haus der Stadt. Gebaut mit Holz aus der Raubkammer nahe Lüneburg im Jahr 1834, ist es auch einen Besuch wert. „Die Innenausstattung ist wirklich eindrucksvoll“, schwärmt Quehl.
Die Goethestraße, an der die Apotheke liegt, führt uns zur Stadtkirche mit Kirchhof. „Diese Straße ist zwar keine Fußgängerzone, aber viel schöner als die Große Straße. Nur weiß das kaum jemand.“ So liegt hier zum Beispiel das schmucke Haus der Superintendentur sowie die älteste Buchhandlung der Stadt: aus dem Jahr 1875.
Gasthaus Domshof besteht seit Mitte des 18. Jahrhunderts
Der Kirchhof dann ist der dritte Lieblingsort von Almuth Quehl in Rotenburg: „Hier lässt es sich wirklich sehr nett sitzen, und das Gasthaus Domshof besteht schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts.“ Auch die Kirche selbst findet die Stadtführerin durchaus spannend: Entworfen nach der Bauordnung für protestantische Kirchen 1862, lohnt sich ein Blick auf die Bögen an den seitlichen Schiffen: Geformt wie zur Zeit der Gotik, bestehen die sie tragenden Säulen aber aus viel jüngerem Material als dem damals vorherrschenden Backstein: Gusseisen. Die Orgel stammt aus derselben Werkstatt wie die in der Hamburger Elbphilharmonie. Entsprechend rege ist hier auch das Konzertleben. Ein Orgelkonzert zum Beispiel gibt es an jedem 1. eines Monats – unabhängig vom Wochentag.
Vom Kirchhof ist es nicht weit zum Gelände der Rotenburger Werke der Inneren Mission, wie sie im Ganzen heißen, an der Lindenstraße 14. Das weitläufige Grundstück lädt zu einem Bummel ein, Tafeln informieren über Geschichte und Gegenwart der Einrichtung.
Die Kirchstraße bietet sich für einen erneuten Schlenker in die Große Straße an – denn hier, bei der Hausnummer 46, gibt es laut der Wahl-Rotenburgerin das beste Eis der Stadt. Ein letzter Genusstipp der Stadtführerin zum Schluss: das Spirituosengeschäft in der Großen Straße 55 – eine Tradition seit dem Jahr 1906.
Anreise und Tipps
- Rotenburg/Wümme ist mit der Regionalbahn zu erreichen. Vom Bahnhof in die Innenstadt sind es etwa 700 Meter.
- Der Hökermarkt am heutigen Sonnabend, 2. Juli, von 9 bis
15 Uhr erstreckt sich zwischen dem Alten Pferdemarkt und Am Neuen Markt entlang der Großen Straße. Neben privaten Standbetreibern verkaufen Geschäftsleute Einzelteile aus ihren Lagern, außerdem gibt es einige wenige professionelle Verkäufer. - Öffentliche Stadtführungen starten jeden Sonnabend um
11 Uhr am Heimathaus, Burgstraße 2. Dort gibt es auch Parkplätze. Die Teilnahme kostet sechs Euro, bis 18 Jahre frei. Die Führungen finden unabhängig von der Anzahl an Interessierten statt. Weitere Informationen sowie Buchung einer individuellen Stadtführung unter Telefon 04261/711 00 bei der Tourist-Information. Sie liegt an der Großen Straße 1 im Gebäude des Rathauses. - Veranstaltungen: Auf dem Kirchhof zwischen Stadtkirche und Kantor-Helmke-Haus gibt es jeden Sonnabend von 11 bis
12 Uhr ein offenes, kostenloses Bewegungsangebot. Am heutigen Sonnabend, 2. Juli, ist das eine Stunde Lach-Yoga. Eine Anmeldung ist nicht nötig. - Auf dem Gelände der Rotenburger Werke gibt es regelmäßig Konzerte: Am Sonnabend, 2. Juli, 19.30 Uhr Country and Folk auf dem Hartmannshof, Adresse: Hartmannshof 1. Auch im Biergarten des Heimathauses, Burgstraße 2, wird häufig Musik gespielt: Am Sonnabend, 2. Juli, tritt die Nat King Thomas Mobile Street Band auf: mit Banjo, Schlagwerk, Kornett und Gesang. Start ist um 19 Uhr.