Hamburg. Ungekünstelt, authentisch und spielfreudig: Die Sängerin aus Los Angeles begeisterte 3800 Hamburger Fans.

Die Leute auf den Wiesen im Stadtpark fragen sich am Sonnabend vielleicht, ob sich im Gebüsch zwei Wildkatzen streiten: ein Fauchen, Kreischen, Jammern, Stöhnen. Aber es ist nur Beth Hart auf der Stadtparkbühne, die Bluesrock-Sängerin aus Los Angeles mit einer Stimme, die so wild und ungezähmt ist wie eine Dschungelnacht. Tröstend, einschläfernd, aufschreckend, lauernd. Sehr beeindruckend.

Vollblutkünstlerin, diese Beschreibung mag gestrig klingen, aber Beth Hart ist noch so ein vermeintliches Relikt. In Zeiten, in denen sogar ein Bruce Springsteen mehr und mehr ein festes Programm abspult, in der viele Bands zu Clicktracks (Metronom) und vorgefertigten Spuren vom Band spielen, gleicht bei ihr kein Abend dem anderen. Es gibt stets eine andere Songauswahl und Reihenfolge, und auch bei den Ansagen, die sich zumeist hier nicht übersetzen lassen (sie flucht wie ein Bierkutscher), erzählt sie, was ihr gerade so einfällt.

Beth Hart: 3800 Fans sind im Stadtpark dabei

In Hamburg kommt sie, mit 51 Jahren im Schnitt der 3800 Fans im fast ausverkauften Stadtpark, allein auf die Bühne. Am Klavier singt sie sich mit „Baddest Blues“ warm, heiß. Die tiefste Lage ist akustisch unter der Revisionsklappe unter der Kartoffelkiste im Keller. Von dort aus kann sie sich nach oben in Höhen schrauben, wo Normalsterbliche nur mit Sauerstoff länger überleben.

Für „Immortal“ und das Melody-Gardot-Cover „Your Heart Is As Black As Night“ kommt ihre Band mit Jon Nichols (Gitarre), Tom Lilly (Bass) und Bill Ransom (Schlagzeug) auf die Bühne, und wenn Beth Hart nicht am Klavier sitzt, läuft sie die komplette Bühnenbreite ab, legt sich ins Gras oder stellt sich einen Hocker vorn auf die Rampe ins Publikum: „Ich habe neulich ,Natural Born Killers’ gesehen, ich glaube, die hatten den Spaß ihres Lebens“, scherzt Hart über den blutigen Streifen mit einem Killerpärchen, aber auch sie ist gefährlich: „Bad Woman Blues“, „Bang Bang Boom Boom“, „War In My Mind“, „Baby Shot Me Down“, wer sich mit ihr anlegt, wird keine gute Zeit haben.

Beth Hart: Ein sehr langes Akustikset vor den Zugaben

Der Stadtpark aber hat eine sehr gute Zeit. Musikalisch überzeugen Band und Sängerin absolut, der Applaus zwischen den Songs ist frenetisch und verdient. Ob Beth Harts Gymnastikeinheiten mit Russenhocke und stabiler Seitenlage auf der Grasnarbe vielleicht etwas zu übertrieben sind, kann diskutiert werden. Auch das sehr lange Akustikset mit vier Songs und langen Improvisationen vor den Zugaben ist nicht unbedingt der Höhepunkt an Dynamik in der zwei Stunden langen Show.

Aber zum Schluss wird noch mal gerockt. Beth Hart springt aus ihren Stiefeln und wählt aus ihrem reichen Fundus an Led-Zeppelin-Coverversionen (2022 erschien ein ganzes Album mit Led-Zep-Songs) wie vor einem halben Jahr in der Arena in Wilhelmsburg „No Quarter“, das in „Babe I’m Gonna Leave You“ übergeht. Wer weiß, ob Robert Plant und Janis Joplin (die Hart mal in Musicals verkörperte) eine heimliche Tochter haben. Beth Hart könnte eine sein, wäre sie nicht über ein Jahr nach Joplins Tod geboren worden.

Beth Hart: Repertoire reicht für mehrere Abende

Zum Finale zollt sie Etta James mit „I’d Rather Go Blind“ Tribut und spielt punktgenau auf die 22-Uhr-Grenze im Stadtpark zu, die nur selten überschritten wird (von Revolverheld am Vorabend zum Beispiel). Eine Punktlandung. Eigentlich könnte sie drei, vier Abende mit einem komplett anderen Programm dranhängen. Aber sie mag den Rasen bei ihrem zweiten Stadtpark-Konzert nach 2019 sehr. Die kommt bestimmt bald wieder.