Hamburg. Er war ein Musiker, der einmal anders war. Volksnäher, überraschender. Heute? Scheffelt er vor allem Geld, sagt ein Bruce-Ultra.
Bruce Springsteen und ich, das ist eine lange Geschichte. Und sie ist kein Einzelfall, wie etwa die großartige Dokumentation „Springsteen & I“ zeigt, in der Fans aus aller Welt über ihre Liebe zum Boss und zu seiner Musik berichten.
Egal wie oft ich den Film sehe, ich bekomme immer wieder eine Gänsehaut wenn ich höre, wie er diese Menschen über Jahrzehnte begleitet und ihre Leben verändert hat. Wie ihnen seine Songs Trostspender und seine Konzerte geradezu spirituelle Kraftzentren sind. Genauso geht es mir auch, seit ich, es muss 1978 gewesen sein, zum ersten Mal „Born To Run“ im Radio hörte, diese Ein-anderes-Leben-ist-möglich-Nummer, die Springsteen bis heute bei jedem Konzert spielt.
Springsteen Konzerte: Stunden vor dem Computer, um an Tickets zu kommen
Natürlich habe ich jede seiner Platten gekauft, vor allem aber bin ich zu jedem Konzert gefahren, das ich erreichen konnte. Nicht nur in Deutschland. Dublin, London, Paris, Kopenhagen, San Sebastián, Lissabon, natürlich Barcelona, wo Springsteen stets besonders euphorisch empfangen wird: Ich habe viele Hallen und Stadien gesehen. Und zahllose nervenaufreibende Stunden vor dem Computer verbracht, um an die begehrten Front-of-Stage-Tickets direkt vor der Bühne zu gelangen.
Erst über Stunden kein Durchkommen, dann doch noch die Karten im Warenkorb – und Glücksgefühle, die nur verstehen kann, wer schon einmal erlebt hat, welche Energie von einem Springsteen-Konzert ausgeht, wie man noch tagelang von dieser kollektiven Energie zehrt. Das hat schon etwas von einer Droge, und ich kenne viele, die den Springsteen-Rausch immer wieder brauchen, die sich aus Kostengründen lieber ein Hotelzimmer mit einem völlig Fremden teilen, als auf ein Konzert zu verzichten. Alles selbst schon gemacht.
Bruce Springsteen: Die große Liebe ist leider getrübt
Doch vor ein paar Jahren hat diese große, eigentlich unverbrüchliche Liebe erstmals Risse bekommen. 2017 spielte Bruce Springsteen monatelang eine Soloshow in einem Broadway-Theater. Die Karten kosteten bis zu 800 Dollar. Sicher, es gab auch einige Tickets für 75 Dollar, aber nur sehr wenige. Wer ihn in diesem intimen Ambiente erleben wollte, musste Geld haben. Viel Geld. Die sogenannte Arbeiterklasse, als deren Sprachrohr er immer betrachtet wurde, war eindeutig außen vor.
Bei diesen Konzerten ausgetauscht gegen die Armada der besserverdienenden Best Ager, die es sich notfalls auch leisten konnten, Tickets für viele tausend Dollar auf dem florierenden Schwarzmarkt zu kaufen. Warum jemand, der doch eigentlich ein Mann des „einfachen Volkes“ ist und so viel Geld verdient hat, dass weder er noch seine Kinder und Enkel es jemals ausgeben können, das macht, war mir unverständlich.
Noch unverständlicher ist das, was jetzt, während der laufenden Tour passiert: Ein Teil der besonders begehrten Tickets in Bühnennähe wird von der Verkaufsplattform Ticketmaster, die zum Veranstalter Live Nation gehört, für einen vielfachen Preis verkauft. In den USA teilweise für bis zu 5000 Dollar, in Deutschland für mehr als 500 Euro. Zur Erklärung heißt es von Ticketmaster, man biete Fans „die Möglichkeit auf Tickets zuzugreifen, die nachfrageorientiert direkt vom Künstler und Management bereitgestellt werden. Ticketmaster Platin ermöglicht dabei eine marktgerechte Preisgestaltung für Live-Events (Preisanpassungen in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage)“.
Kartenpreise: Aus den Fans wird so viel wie möglich herausgepresst
Wobei „marktgerechte Preisgestaltung“ im Klartext bedeutet: Es wird das verlangt, was sich maximal aus Fans herauspressen lässt. Während es von Bruce Springsteen selbst bis heute keinen Kommentar dazu gibt, erklärte dessen Manager Jon Landau, man orientiere sich an dem, was andere Superstars für Konzerttickets verlangen. Das mag sein, ernüchternd ist es dennoch.
Für viele Hardcore-Fans, die seit Jahrzehnten dabei sind und mehr als ein Konzert pro Tour sehen, kommt noch eine Extraportion Ernüchterung hinzu. Bisher waren Springsteen-Konzerte im besten Sinne Wundertüten. Keines war so wie das andere, wer drei Konzerte erlebte, hörte dreimal eine unterschiedliche Setlist (auch wenn die ganz großen Hits natürlich immer gespielt wurden). Unvergessen, wie Fans Pappschilder mit Wunschtiteln in die Höhe reckten, die Springsteen irgendwann einsammelte und spontan entschied, was als nächsten gespielt werden sollte – manchmal zur sichtbaren Überraschung seiner E Street Band, wenn plötzlich ein Song dran war, der zuletzt vor zehn Jahren oder sogar noch nie live gespielt worden war.
Trotz allem: Eine Springsteen-Show ist immer noch ein Erlebnis
Diese Zeiten sind leider vorbei. Auf der aktuellen Tour ist die Setlist statisch wie nie, gibt es nahezu keine Überraschungen mehr, Zwischenansagen sind rar oder werden vom Teleprompter abgelesen. Natürlich ist das bei den meisten Shows auf Superstar-Level (Beyoncé, Pink) schon immer so, wird schlicht eine perfekte Choreografie abgeliefert, die in Hamburg genauso abläuft wie in Madrid, aber Springsteen war eben anders. Und deshalb so unvergleichlich.
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Da hat sich also einiges an Frust angesammelt. Doch zur Wahrheit gehört auch: Eine Springsteen-Show ist immer noch ein Erlebnis, ist immer noch ein Kraftbrunnen und die E Street Band immer noch spürbar eine Familie, bei der man sich irgendwie zuhause fühlt. So war es jedenfalls bei meinen zwei Konzerten in Barcelona, so war es auch in Oslo, und so wird es auch im Volksparkstadion sein.
Wenn die ersten Takte von „The Promised Land“ oder „Tenth Avenue Freeze-Out“ erklingen, wenn Springsteen in „No Surrender“ singt „We learned more from a 3-minute record than we ever learned in school”, dann ist die Gänsehaut eben doch sofort wieder da. Springsteen und ich: Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Trotz allem.
Konzert in Hamburg: 15. Juli, Volksparkstadion