Hamburg. Dreimal c-Moll: Lang Lang, Andris Nelsons und das Mahler Chamber Orchestra mit einem reinen Beethoven-Programm in der Elbphilharmonie.
Nicht alle Tournee-Gespanne mit prominenten Namen sind automatisch eine gute Idee. Lang Lang, hin und wieder das Brausepulver unter den Star-Pianisten? Läuft immer und überall, darf man wohl meinen. Aber mit einem Beethoven-Klavierkonzert, bei dem es beileibe nicht nur auf perlende Brillanz ankommt, sondern hart erarbeitete Durchdringung? Eher keine erwartbare Kombination.
Und andererseits – mit starker Betonung auf das „anderer“ – Andris Nelsons, doppelthauptberuflich als Chefdirigent in Boston und beim Leipziger Gewandhaus sehr traditionsbewusst verankert, mit dem sehr selbstbestimmenden Mahler Chamber Orchestra, zur Feier des 25. MCO-Geburtstags, mit einem reinen Beethoven-Programm? Interessant. Kleiner, feiner gemeinsamer Nenner bei den drei Stücken: alle in c-Moll notiert, der Tonart, die bei Beethoven ein eindeutig erkennbares Markenzeichen für noch mehr trotziges Ringen um Freiheit und Anerkennung ist.
Lang Langs Beethoven in der Elbphilharmonie: oft von allem zu viel
So viel zur Ausgangslage bei jenem natürlich ausverkauften Konzert, mit dem das diesjährige Musikfest in der Elbphilharmonie überwältigend und beglückend enden sollte. Tat es auch, nur nicht immer in den Konstellationen, für die dieser Abend wohl entworfen worden war.
Und um zu verstehen, warum hier einiges hartnäckig und genau deswegen auch aufschlussreich aneinander vorbeilief, lohnt der Blick auf Langs Zugabe: Man könnte, um in der Stimmung und auf diesem Niveau zu bleiben, nach Beethovens 3. Klavierkonzert so vieles spielen. Er aber entschied sich, und hier bitte einmal kurz tief durchatmen, für ein Stück seines entbehrlichen „Disney Book“-Albums, für „Rainbow Connection“ aus dem „Muppet Movie“.
Andris Nelsons hatte reichlich damit zu tun, Orchester und Solist zusammenzubringen
Nun ja. Viele, sehr viele Noten, mit viel Schwung über die komplette Tastatur zu verteilen, einmal extrasüß mit alles, sozusagen, und danach bejubelt wie Lang Lang ohnehin. Dem schien dieses Stückchen als kleine Eigenwerbungs-Einlage näher am Herzen zu liegen als das Hauptwerk davor.
Was Andris Nelsons – der inzwischen Statur und Bart des späten Brahms mit einer Prise Orson Welles ausgebildet hat – davon hielt, blieb sein Geheimnis. Denn als Dirigent hatte er im c-Moll-Konzert reichlich damit zu tun gehabt, Orchester und Solist zusammenzubringen und anschließend, insbesondere im chronisch schwammigen langsamen Mittelsatz, tatsächlich sinnstiftend zusammenzuhalten.
Die Akzente des ersten Final-Themas wurden gehämmert statt gespielt
Lang Langs Zugang zu Beethoven wollte oft von allem zu viel. Entweder ging er die markanten Abschnitte zu aggressiv an, die Akzente des ersten Final-Themas wurden gehämmert statt gespielt, er überbetonte und über-spielte deren hochkonzentrierte Leichtigkeit des Seins. Oder er vernebelte die doch noch sehr klassischen Strukturen durch allzu starken Pedaleinsatz und versank die Linienführung in verfrühtromantischem Schwelgen, als wäre er gedanklich bereits in der melancholisch vergrübelten Nachbarschaft von Chopin und Tschaikowsky.
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Ob und wie das Orchester sich dazu verhält, schien dem Virtuosen davor über weite Strecken gleich zu sein, da konnten die Holzbläser hinter ihm noch so sehr aufblühen und ihre noblen Glanzlichter herausarbeiten. 2017, bei seinem Elbphilharmonie-Debüt, fanden Lang Lang und das Pittsburgh Symphony bei einem Mozart-Klavierkonzert nicht zueinander; hier war es anders, aber ähnlich.
Das soll Beethoven gewesen sein? Ich geb euch Beethoven!
Das soll Beethoven gewesen sein?! Ich geb euch Beethoven! Hat Nelson nie gesagt auf seinem Podium. Aber dirigiert hat er es genau so, schon vor dem Klavierkonzert dramatisch angeschärft in der kurzen „Coriolan“-Ouvertüre, die er unerbittlich geradezu vor sich her prügelte, grimmig und giftig, mit allen Ecken und Kanten, die dieses Charakterstück nun mal hat und verlangen kann. Und erst recht in der Fünften nach der Pause.
Das berühmte Eingangsmotiv wirbelte er ohne größere Binnenpause vor sich her und ging danach voll auf Risiko. Anders, als man es von Andris vielleicht erwartet hätte, war das auch kein wohlfeil sich zurücklegender Beethoven, kein beschauliches zurückgelehntes Baden im Tutti-Wohlklang. Das MCO und Andris wollten nicht Schönheit anpreisen, sondern Aufrichtigkeit vermitteln.
Elbphilharmonie: Nelson und dem Orchester kam es auf die utopische Kraft der Musik an
Schroff und spannungsgeladen war das, anstrengend und mitnehmend anzuhören, weil klar gemacht wurde, um wie viel es in Musik zu gehen hat, Takt für Takt, Melodielinie für Melodielinie. Lang Lang hatte vor allem für die schönen Momente gespielt, und auf sie hin; Nelsons und das MCO – kleiner darf man das nicht einsortieren – kam es auf die utopische Kraft an, die diese Musik als bleibender Wert antreibt.
Inbegriffen in dieser Kraft-Anstrengung waren Kurzstrecken der Ekstase – die Hörner waren immer eine Wucht, das Fugenknattern der tiefen Streicher im dritten Satz, der mit genau eingeteiltem Anlauf aufs Finale einstimmte, weg vom c-Moll des Beginns, hinein in das tollste, irrste, strahlendste C-Dur, seit Haydn in seiner „Schöpfung“ zehn Jahre zuvor damit das Licht angemacht hatte. Nelsons und dieses Orchester und dann ausgerechnet mit Beethoven, das war eine echte Entdeckung. Kann gern wiederkommen.
Aufnahme: „The Beethoven Journey“ Mahler Chamber Orchestra, Leif Ove Andsnes (Sony Classical, 3 CDs, ca. 15 Euro) Konzerte: 6./7.9. Boston Symphony und Andris Nelsons, mit Anne-Sophie Mutter und Werken von Williams, Prokofiew, Strawinsky, Gershwin und Ravel. Elbphilharmonie, Gr. Saal