Hamburg. Zwischen Solistin und Orchester herrschte ein Klassenunterschied. Die Karambolage hatte aber auch etwas Gutes.

Sie konnte einem schon leidtun, denn an Yuja Wang lag es nicht, dass der Abend so dramatisch in die ­Hose ging. Und, mit etwas Abstand durchdacht, hatte diese unfreiwillig lehrreiche Brahms-Karambolage ja tatsächlich auch ­etwas Gutes, bewies sie doch, dass ein klassisches Konzert nicht automatisch auf Harmonie ­aller Beteiligten abonniert ist. Aber qualitativ ebenbürtig sollten sie schon sein, um sich über Interpretationsmöglichkeiten und Ni­veau auseinanderzusetzen. Es muss ja auch nicht gleich so legendär ­enden wie bei dem Carnegie-Hall-Konzert 1962 mit Gould und Bernstein, vor dem der Dirigent in einer Wortmeldung ans Publikum souverän seine Meinungsunterschiede zum Thema Brahms’ 1. Klavierkonzert erklärt hatte.

Die junge Chinesin, deren Programmschwerpunkte sich bislang oft auf Tastatur-Feuerwerke konzentrierten, spielt derzeit weltweit ebendieses Stück, mit wechselnden Orchestern, wohl auch als Sprungbrett in andere ­Re­per­toire-Regionen, da kann man vielleicht nicht immer wählerisch sein beim Terminplanen. Für ihren Elbphilharmonie-Auftritt im Rahmen des Schleswig-Holstein ­Musik Festivals jedenfalls sollten es die St. Petersburger Philharmoniker als großorchestrale Umrahmung für den Klavierpart richten.

Lange Tradition

Eigentlich eines dieser vielen ­Orchester mit langer Tradition, ehrwürdigen Namen im ­Lebenslauf und solidem Renommee. Doch was der sportiv ans Werk gehenden Virtuosin im Großen Saal durch den Chefdirigenten Juri Temirkanow an musikalischer Indifferenz und – man muss es so sagen – breiiger, uneleganter Klangbräsigkeit zugemutet wurde, war schon ­erstaunlich. Mit Detailarbeit hatten es die Russen eher nicht, sie trugen die Zartbitter-Klangfarben fingerdick mit dem ­extrabreiten Roller auf und scherten sich wenig darum, dass dieses Konzert auch seine feingliedrigen Passagen hat. Sehr, sehr alte Schule. Schon in weniger offenlegenden Sälen wäre das unangenehm aufgefallen, in der Elbphilharmonie-Akustik, die da nichts vergibt, rauschten zwei Welten unüberhörbar aneinander vorbei.

Klassenunterschied

Der Klassenunterschied zwischen Solistin und Orchester wurde dadurch nur noch deutlicher, dass Wangs Anschlag klar, prägnant und energiegeladen war und blieb, egal, wie egal dem Tutti das auch war. Dialogansätze, insbesondere im verträumt dahinfließenden Adagio, blieben vom Orchester unbeantwortet, bevor Wang im Rondo auf die Ziellinie sprintete. Als alles vorbei war, suchte sie die erlösende Seitentür und machte dabei einen leicht verwirrten Eindruck, als stünde sie noch unter Schock. Ihren Blumenstrauß wurde Wang erst bei einer Geigerin los, dem Konzertmeister war gerade nicht nach freundlichen Gesten. Keine Zugabe, nur Verbeugungen und Standardlächeln auf Autopilot.

Fürs Protokoll: Nach der Pause wurde es nicht besser, nur anders. Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“, in dieser Version eher ein Postershop mit leicht vergilbten Ladenhütern. Wie man als russisches Orchester den Schlussakkord beim Gang durchs „Große Tor von ­Kiew“ verstolpern kann, hätte man von Temirkanow gern erfahren. Doch der hatte es eilig, aus dem Rampenlicht dieses Abends zu kommen.