Hamburg . Endlich spielte der Pianist sein erstes Konzert in der Elbphilharmonie. Sein Auftritt war ebenso umjubelt wie knapp bemessen.

Bei diesem sehr spektakulären, vor allem aber sehr speziellen Konzertabend mit Starpianist Lang Lang gab es niemanden im Scheinwerferlicht, der nicht Mitgefühl verdient hätte. Allerdings aus sehr unterschiedlichen Gründen. Bei seinem Debüt in der Elbphilharmonie in Hamburg machte das Pittsburgh Symphony Orchestra mit einer rasant brillanten Aufführung von Schostakowitschs Fünfter klar, dass die Einteilung der US-Spitzenorchester in „Big Five“ – ohne Pittsburgh – und den Rest unfair und zu knapp bemessen ist. Das Blech war, wie es sich für viele dieser Orchester-Turbinen aus der Neuen Welt gehört, eine Wucht; der hörbare Spaß an den Show-Möglichkeiten war immens.

Im Finale der Fünften bekam der von Schostakowitsch hineinkomponierte Sarkasmus einen Hauch von Las-Vegas-Aroma, doch die verzweifelt mahlernden Mittelsätze waren exquisit gearbeitet und dynamisch voll ausgereizt, bis an den Rand der Möglichkeiten, die dieser Saal einem Orchester mit guten Nerven bieten kann.

Die meisten Besucher kamen für Lang Lang in die Elbphilharmonie

Und Mason Bates’ „Resurrexit“, 2018 nach Pittsburgh bestellt, das den Abend begann? Hübsch, egal. Eine Schippe Avantgarde-Globuli mit Filmmusik-Geschmäckle, 15 Minuten Neue Musik für ein Publikum, das „Neue Musik“ so gar nicht hören mag und sich danach kurz besser fühlen kann, weil alles so schön harmlos und halb so wild war und ganz bestimmt irgendwie wirkte.

Aber wahrscheinlich – und deswegen leider – dürfte nur ein kleiner Teil des Publikums in den Großen Saal gekommen sein, um mitzuerleben, wie gut der Österreicher Manfred Honeck seinen Laden in Pennsylvania bei Schostakowitsch im Griff hat. Die meisten waren gekommen, um zu erleben, wie es ist und wie es klingt, wenn der berühmteste Pianist der Welt sich neu erfinden will.

Zwangspause für Lang Lang

Vor gut zwei Jahren musste Lang Lang nach einer Sehnenscheidenentzündung in der linken Hand eine lange Zwangspause einlegen. Sich zur Ruhe zwingen, kürzer treten, überlegen, was war und warum und wovon er zukünftig diese Finger lassen sollte, für die offenbar kein Stück manuell zu schwer ist.

Kurz davor hatte eine Grippe ihm das Elbphilharmonie-Debüt verunmöglicht, doch das langfristige Handicap war dramatisch folgenreicher als dieser schnell auskurierte Infekt. Eine Schwäche hatte das Betriebssystem des Super-Virtuosen zum Absturz gebracht, die nicht durch manisches Üben überwunden werden konnte, wie er es als Knirps gelernt hatte, sondern nur durch das Gegenteil. Ein existenzieller, fürchterlicher Schreck.

Lang Lang spielte Mozart in der Elbphilharmonie

Die Reha-Maßnahme seiner Wahl war nun also das c-Moll-Klavierkonzert KV 491 von Mozart; Lang Lang hat es vor einigen Jahren, was damals eine echte Überraschung war, mit dem gestrengen Originalklang-Spezialisten Nikolaus Harnoncourt eingespielt. Auch bei den ersten Gehversuchen zurück in die Klassikwelt war dieses zartbittere Konzert erstes Trostpflaster für die Fans, die Sehnsucht hatten nach dem sonnigen Gemüt Lang Lang. Nichts eitel Weltbewegendes, sondern feiner, reifer, kluger, bescheiden auftrumpfender, introvertierter Mozart. Und der Eindruck, gerade dieses Konzert sei ihm als Aufbautraining verordnet worden, hatte auch etwas von der genervten Ermahnung an renitente Kinder, denen ihre Eltern einreden wollen, dass Spinat gut für sie wäre.

Überall, wo es sich anbot (und oft auch dort, wo es sich verbot), bremste Lang Lang den Fluss dieser Musik durch mitunter riesige Rubati aus, überholte die Stringenz der Wiener Klassik links, um mit süßlich perlenden Läufchen erst in Chopins romantischer Tristesse wieder zum Stillstand zu kommen.

Es entstand der Eindruck des Suchens und Ablenkens

Die Kadenz im ersten Satz? Kein Nachdenken über die Essenz des Gewesenen, nur weiteres Polieren der Oberfläche. Im zweiten Satz fand viel Selbstgespräch statt, das Orchester durfte assistieren. Viele schöne Momente, das schon, pianistisch großartig ausgeführt. Doch der innere Zusammenhang, die Einsicht, dass viele schöne Töne nicht automatisch Musik ergeben? Erstaunlich, wie schwer das einem Instinkt-Interpreten wie Lang Lang fallen kann. Man kann unterfordert sein und es gleichzeitig übertreiben.

Die Auswahl der zwei Zugaben nach diesem eigenwilligen Mozart verstärkte den Eindruck des Suchens und Ablenkens noch: Durch das „Spinnerlied“ aus den „Liedern ohne Worte“ raste Lang Lang in einem Tempo, als wäre es Guinness-Buch-Kandidat in der Kategorie „Schnellster Mendelssohn nach Sonnenuntergang“. Und Czernys C-Dur-Presto aus der „Schule der Geläufigkeit“? Eine Fingerübung ohne Nährwert, leere Kalorien.

Wenig später folgte ein Nachspiel

Doch der eigentliche Eindruck war ein anderer: Das war die für ihn notwendige kleine Auszeit, in der Lang Lang die Hand-Bremse im Kopf lockerte, sich kurz zurückließ auf die Tastendompteur-Spielwiese. Dorthin, wo er nicht durch die überschaubare Menge an Noten ausgebremst wird, die ein Mozart-Konzert mit sich bringt. Ein bisschen nur an den verboten gewesenen Früchten naschen und hoffen, dass es keinen Ärger gibt, nachdem der tosende Applaus fürs rein Virtuose wieder verstummt.

Einige Elbphilharmonie-Etagen tiefer und wenig später folgte ein Nachspiel, bei einem Steinway-Event im Kai-studio. Ein Design-Flügel mit Selbstspielfunktion sollte präsentiert werden, mit dem Namen „Black Diamond“ für das limitierte Sondermodell. Und nachdem Lang Lang etwas gespielt hatte, das hinter dem Parfumnebel an Debussys „Clair de lune“ erinnerte, legte er einen kleinen Teil aus Bachs Goldberg-Variationen nach. Ernsthafte, abstrakte, klar konstruierte Musik. Nach seinem Album mit Klavierunterricht-Kleinkram ist Bach nun sein nächstes CD- und Tournee-Leitmotiv. Die nächste, wirklich große Herausforderung für diesen Pianisten, der jetzt, mit Mitte 30, erkennt, dass es ganz neue Grenzen für ihn gibt.