Hamburg. Geigerin und Mahler Chamber Orchestra begeistern in der Laeiszhalle. Zerstörung trifft auf klingendes Idyll – ein erschütterndes Konzert.

Eine sonore Stimme preist die Reinheit eines Mineralwassers. Sechsfach gefiltert durch Vulkangesteinsschichten, so klingen sie, die Versprechungen der schönen heilen Werbewelt. Bloß dass sie förmlich Übelkeit verursachen beim Anblick der Bilder, die dazu auf den seitlich der Bühne platzierten Bildschirmen erscheinen: Müde schwappt eine Brühe an den Strand, auf der jede Menge Plastik treibt. Eine abgemagerte Kuh sucht auf einer Müllkippe nach Fressbarem. Darunter pulsieren weiche Holzbläserakkorde in Endlosschleife. Die „Szene am Bach“, der langsame Satz aus der „Pastorale“ von Beethoven, ist gleichsam hängengeblieben.

Patricia Kopatchinskaja begeistert in der Laeiszhalle

Menschengemachte Zerstörung trifft auf klingendes Idyll. Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und das Mahler Chamber Orchestra lassen bei ihrem szenischen Konzert in der Laeiszhalle keinen Zweifel daran, wer stärker ist. Der Abend ist eine erschütternde Erzählung von dem, was bleibt, wenn die Schöpfung ausgelöscht wird: nichts als unendliche Einsamkeit.

Das Konzert beginnt zwar mit der „Pastorale“ als dem Inbegriff der heilen Natur, aber die Musik wird von krächzenden Lautsprechern und Nachrichtenbildern unterbrochen. Sie rappelt sich auf, macht weiter, aber über „Gewitter, Sturm“ im vierten Satz wird sie nicht hinauskommen. Statt in den frohen „Hirtengesang“, mit dem die Sinfonie eigentlich endet, leiten die Musiker über in eine völlig andere Welt, in den Trauermarsch aus Beethovens „Eroica“.

Kopatchinskaja: So erschütternd klingt der Klimawandel

Das ist schon stark ausgedacht. Es ist aber außerdem so stark gespielt, dass die Menschen wie verhext lauschen. Kopatchinskaja kennt keine Grenzen, keine Hemmungen und schon gar keine Konventionen, wenn es um den Ausdruck geht. Im Mahler Chamber Orchestra hat sie Partner auf Augenhöhe gefunden. Wenn sie pianissimo spielen, hört man nur einen Hauch – und sogleich fährt ein Crescendo daraus hervor wie eine Stichflamme. Die Musik erzählt nicht nur eine Geschichte, sie ist selbst die Geschichte. Direkter kann man nicht vermitteln, dass Klimawandel und Umweltzerstörung die Tragödie jedes Einzelnen sind.

Wie politisch ist Beethoven? Die Frage stellt sich hier nicht einmal. Das Faszinierende ist, wie sich Ästhetik und außermusikalische Aussage verbinden. Wie die Musiker alle miteinander jäh beschleunigen oder stauen, von brachial zu zart wechseln oder umgekehrt. Bei so viel Risiko fällt auch mal was hinten runter, Kopatchinskajas Intonation ist nicht allezeit blitzsauber. Darauf kommt es nicht an.

Mahler Chamber Orchestra: Der Rest ist Stille

Zum Trauermarsch projiziert die Bildkünstlerin Lani Tran-Duc Zeichnungen ausgestorbener Tiere auf ein Tuch, das wie eine Wolke über den Musikern hängt. Raubkatzen, Fische, Vögel, Schmetterlinge ziehen vorbei – dazwischen immer wieder Menschen mit hängenden Schultern, die Gesichter verhüllt.

Dass der Satz Teil einer Sinfonie ist, davon ist keine Rede. Es werden nur noch einzelne Sätze folgen. Zwischendurch setzt sich Kopatchinskaja ans Klavier und spielt das Thema von Schumanns „Geistervariationen“. Leise, mit viel Zeit. Zeit, in der das Publikum seinem eigenen Entsetzen nachspüren kann. Der langsame Satz aus dem Violinkonzert von Schumann klingt schwankend, brüchig und so leise wie auf dem Totenbett.

Irgendjemand wird der letzte sein. An diesem Abend ist es der Karnyx-Spieler Abraham Cupeiro. Als die anderen verstummt sind, spielt das Blasinstrument in Gestalt einer aufgerichteten Echse, erst scharf und hoch, dann immer schwächer werdend, bis es nur noch einen Atemzug von sich gibt. Der Rest ist Stille.