Hamburg. Auch etliche Teenager im Publikum beim Philharmonia Orchestra, Patricia Kopatchinskaja und Santtu-Matias Rouvali. Beethoven wirkte.

Neues, anderes Publikum wollen alle Klassik-Anbieter nicht erst jetzt anziehen, mehr als gerade jetzt wäre für die Kassen der meisten wichtiger. Die Ausnahme-Spielstätte Elbphilharmonie hat dieses Problem nicht immer, im Gegenteil, es kann dort sogar zu angenehmen und unvorhergesehenen Überraschungen kommen.

Im Tour-Konzert des Londoner Philharmonia Orchestra saßen, direkt hinter der Bühne, für alle bestens sichtbar, etliche Teenager. Einige wirkten eher mittelinteressiert an dem, was sich vor und unter ihnen tat. Bis sich sofort nach dem Ende des Beethoven-Violinkonzerts einer von ihnen begeistert mit der Hand aufs Herz schlug und der Geigerin Patricia Kopatchinskaja und dem Dirigenten Santtu-Matias Rouvali mit zwei steil aufwärts gerichteten Daumen signalisierte: Hammer! Mich habt ihr gekriegt!

Elphilharmonie: Etliche Teenager beim Konzert der Londoner Philharmonia Orchestra

Das ansonsten allmächtige Smartphone war egal, die Meinungen der anderen Jungs waren egal. Beethoven wirkte. Diese Antiquität wirkte, weil sie für ihn im Hier und Jetzt lebte und jemand sie für ihn entdeckt hatte.

Auch ohne solche kleinen Einzelschicksal-Glücksmomente, die hoffentlich zum Wiederkommen einladen, war klar, dass alle, die „ihren“ Beethoven gern wieder so gehört hätten, wie sie ihn kennen und lieben und immer schon gehört haben, in diesem Konzert im Großen Saal reichlich falsch waren.

Zuletzt hatte Kopatchinskaja das Standardrepertoire-Stück 2016 noch in der Laeiszhalle ausgetrickst, damals noch begleitet von Teodor Currentzis und seinem MusicAeterna-Orchester. Zwei rauflustige Rebellen, die das Stück gemeinsam radikal auf links drehten und entzaubernd verzauberten. Damals setzte es neben Jubelschreien auch wütende Buh-Rufe.

Rouvali, einer jener jungen Finnen, die gerade steile Karriere machen, hielt sich und sein extrem geschmeidig agierendes Orchester in dieser Hinsicht eindeutig zurück. Kopatchinskaja dagegen überrumpelte die Konvention, wie immer bei solchen Gelegenheiten zu kreativem Ungehorsam, mindestens für zwei.

Elbphilharmonie: „Das ist von Beethoven, das ist kein Unsinn von mir“

„Das ist von Beethoven, das ist kein Unsinn von mir“, verkündete sie fröhlich nach dem Schlussapplaus und vor ihrer Zugabe. Denn die Kadenz-Einschübe waren originell und original zugleich, basierend auf dem Material der Klavier-Bearbeitung. Was sie natürlich überhaupt nicht davon abhielt, diese Eskapaden zu rotzfrech aufbrausenden Kurz-Duellen mit dem Konzertmeister oder den Pauken aufzuheizen. Bloß keine gut dressierte, perfekte und deswegen blasse Langeweile.

Den Einstieg in das erste Solo im Kopfsatz wendete und veränderte Kopatchinskaja ins Gegenteil: kein triumphales Entrée, kein Noten-Dienst nach Vorschrift, kein satt strahlendes Ausspielen der Vorbereitung des ersten großen Themas. Leise, leiser, gespannte Aufmerksamkeit einfordernd manövrierte sie sich an der klassisch noblen Virtuosinnen-Rolle vorbei, um diese Diven-Momente genau damit in Frage zu stellen. Um der Musik einen anderen, unberechenbaren Spin zu geben.

Auch den Romantik-Schüben im Mittelsatz verweigerte sie sich und ließ sie lieber fragend fahl zweifeln und grübeln. Theoretisch hätte sie jede Phrase ihres Parts punktgenau und „ordentlich“ leisten können, immer wieder aber spielte sie sich, mit so gerade eben noch passender Intonation, wie eine Folklore-Musikerin seitlich in die hochwohlgeborenen Themenideen und erdete sie damit.

Bloß keine gut dressierte, perfekte und blasse Langeweile

Rovali und das Philharmonia konnten währenddessen lässig aufs Glänzen in Eigenregie nach der Pause warten. Obwohl ihr Chefdirigent vor allem für seine Sibelius-Interpretationen beachtet wird – seine Siebente Dvorak hatte es ebenfalls in sich.

Markant und schnittig, mit einer unforcierten Einsicht in die eigensinnige Tonsprache, tänzeln und straff glattgezogen. Alles war klar und transparent, Rouvali ließ sich in die dramatischen Abgründe fallen und blieb dennoch Herr der Lage. Nirgendwo kam auch nur ansatzweise das Gefühl auf, hier würde Pflicht veranstaltet und abgeliefert wie bestellt.

Am 23.11. spielt Julia Fischer mit der Staatskapelle Dresden das Beethoven-Violinkonzert im Großen Saal der Elbphilharmonie.