Der Auftritt der Star-Sopranistin und ihres Mannes war nicht nur ein Konzert. Das Programm verströmte luxuriöses Butterfahrt-Aroma.
- Anna Netrebkos Show – mit ihr strahlend im Zentrum – geht weiter
- Demonstration gegen die Sopranistin vor der Elbphilharmonie
- Anna Netrebko steht, singt und triumphiert strahlend
Spätestens seit März war klar, dass dieser Abend, bei dem klassische Musik gesungen, gespielt, gehört und beklatscht werden soll, deswegen trotzdem kein klassisches Konzert werden wird. Seit Monaten läuft die Debatte über Anna Netrebko, die seit dem Überfall Putins auf die Ukraine und wegen ihrer Haltung zu ihm und dazu endgültig von einer großen Sopranistin zu einem noch viel größeren Politikum geworden ist. Jetzt also: Elbphilharmonie, Großer Saal, Karten für bis zu 440 Euro. Pro Stück.
Das Programmheft mit seinen totretuschierten Wachsfigurenkabinett-Fotos verspricht „Die schönsten Arien & Duette der Oper!“ und verströmt frontal luxuriöses Butterfahrt-Aroma. Wer für solche Abende eine Karte kauft, will genießen, vergessen, schwelgen, anhimmeln. Aber nicht in seiner Haltung zu Kultur, Krieg und Moral kritisch hinterfragt werden.
Anna Netrebko: Protest vor der Elbphilharmonie gegen ihr Konzert
Auf dem Saalplan im Internet sah der Saal tagsüber interessanterweise deutlich besser belegt aus als am Abend selbst, die Seitenränge-Reihen haben große Lücken.
Im März wurde sie von Netrebko kurzfristig und leicht panisch abgesagt, diese Show, nun aber im zweiten Anlauf ist sie also doch da. Wieder, nach dem letzten Auftritt im Februar 2020. Dennoch. Erst recht. An der Met in New York will man sie nicht dulden. In Paris wurde sie schon wieder gefeiert. In Wien hat man La Netrebko als „Bohème“-Zugpferd in die Staatsoper engagiert, als wäre fast nichts gewesen.
Und überhaupt: Seit wann ist Musik politisch? Diese Show mit ihr strahlend im Zentrum soll weitergehen, sehr garstig formuliert: Der Rubel soll wieder rollen. Die Argumente dafür und dagegen gehen seit Wochen wild und wütend durcheinander. Nichts ist noch einfach. Es ist Krieg, seit mehr als einem halben Jahr.
Anderthalb Stunden vor dem ersten Ton versammeln sich deswegen etwa drei Dutzend, vorwiegend junge Demonstrantinnen und Demonstranten, blau-gelb umflaggt, manche mit Theater-Blut im Gesicht, auf dem Vorplatz des Konzerthauses. „Russia is a terrorist!“, „One ticket, one bomb!", „Don’t support Netrebko!“, rufen sie wütend, die ersten Konzertgäste ignorieren die Gegen-Demo im Gegenzug demonstrativ.
Elbphilharmonie-Intendant Lieben-Seutter fehlt demonstrativ
„Wir sind ja für die Demokratie, aber diesen Schwachsinn machen wir nicht mit“, erklärt eine Konzertbesucherin, bevor sie sich auf den Weg nach oben macht. Und kurz nach 20 Uhr, als die Russin mit österreichischer Extra-Staatsbürgerschaft zwölf Etagen höher huldvoll die Bühne betritt und die Audienz eröffnet, schwarzes Kleid, grüner Schal, majestätische Tiara auf dem Kopf, regt sich so gar kein Widerspruch in den Fan-Kurven im Saal. Beifall, allerdings nicht energisch oder demonstrativ lang anhaltend.
Für das Auftauchen aus der Verbannung ist es ein okayes erstes Dankeschön. Allerdings nicht für einen der wenigen Klassik-Weltstars, der Netrebko nach wie vor ist. Und – rein musikalisch – zu Recht.
Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter ist, wie kürzlich von ihm angedeutet, gut sichtbar nicht anwesend. Auf seinem Stammplatz sitzt der Geschäftsführer Jochen Margedant, von Haus aus Jurist. Sicher ist sicher, signalisiert das.
Wer Netrebko will, muss ihren Mann als Kollateraltenor dazubuchen
Es ist kein Elbphilharmonie-eigenes Konzert, es findet dort statt; Vermietung, Vertrag, ist nun mal so, das waren die Argumente. Ein weiteres Signal, aber eher an das Publikum, sind die beiden humorbefreit starrenden Herren in schwarzen Anzügen, die links und rechts neben den Bühnentreppen postiert wurden und denen man wohl lieber nicht ungelegen oder gar zu nah kommen sollte.
Wer Netrebko will, muss tunlichst ihren Mann Yusif Eyvazov als Kollateraltenor dazubuchen, auch bei diesem Abend ist das so. Doch bevor der seine erste Arie, etwas Dramatisches aus Donizettis „Lucia di Lammermoor“ schmettert, macht die Gattin mit dem Finale aus „Anna Bolena“ zwei Dinge klar: ihre Klasse – und dass ihre Stimme inzwischen mindestens eine Nummer zu groß ist für dieses Repertoire. Aber trotzdem toll. Die seidigen Piano-Töne, die sie zaubert, sind umwerfend. Erste tiefe Seufzer im Parkett.
Danach geht es Arie auf Arie, Netrebkos Netto-Bühnenzeit bleibt überschaubar. Eyvazov trägt – das Auge hört ja mit – rot funkelnde Glitzer-Absätze an seinen Lackschuhen, leider ohne eingebaute Glühbirnchen oder Mini-Rollen. Um alle gleichermaßen zu verzücken, flaniert das Ehepaar Netrebko unablässig über die Bühne, singt in alle Richtungen, mit dem Dreiklang aus Drehen, Winken und Wenden beschallt es das Rund.
Anna Netrebko steht, singt und triumphiert strahlend
Selbst die physikalischen Regeln der Akustik scheinen in Netrebkos Auftritten mal eben außer Kraft gesetzt. Obwohl etliche andere schmerzhaft lernen mussten, dass kein Segen darauf liegt, sich beim Singen vor das Tutti am Bühnenrand aufzustellen – Netrebko steht, singt und triumphiert strahlend, mühelos geradezu von dort über das Orchester hinweg
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Andererseits: Die Begleitung durch die Philharmonie Baden-Baden ist erwartbar medioker, die Streicher spielen strohig, auch mit der Inbrunst beim Finale 1. Akt aus Tschaikowskys „Pique Dame“ hat es Dirigent Jader Bignamini nicht so.
Elena Zhidkova, als Auffüll-Mezzo mit dabei und alles andere als die übliche Verlegenheitslösung bei solchen Anlässen (sie war immerhin die Venus beim 2019er-„Tannhäuser“ in Bayreuth), wirkt dagegen ein bisschen wie bestellt und nicht abgeholt und fügt sich schnell in dieses Schicksal, unspektakulär sein zu sollen. Es darf nur eine Diva geben in diesem Konzert.
Anna Netrebko hat mit Isoldes Liebestod so ihre Not
Mit Isoldes Liebestod aus Wagners „Tristan“ hat Netrebko – wie auch das Orchester – ihre Not, nicht nur der Sprache wegen. Dafür blüht sie beim „Manon Lescaut“-Potpourri auf, geht so hinreißend in dieser Rolle auf, dass auch Eyvazov sich wie durch Charisma-Osmose bessert.
Mehr und mehr werden verstohlen Smartphone-Fotos geknipst. Eyvazov schmettert als eine von drei Zugaben das Tenorissimo-„Granada“, bei der letzten Zugabe wird ein stimmlich sehr rüstiger Senior aus der ersten Reihe zum Mitsingen auf die Bühne geholt.
Großer Jubel, Blümchen, und nach diesem Ende verschwinden einige Limousinen entlang der Elbphilharmonie in die Nacht.