Bayreuth. Der Auftakt vom neuen Bayreuther „Ring“ behauptet vieles, löst aber nicht alles ein oder auf. Ein Abend voller Andeutungen.

Das Es-Dur-Vorspiel wogt einen wohlig wagnernd aus dem Graben an, die Rheinwellen wellen sich als sehr ansehnlicher Video-Effekt über den noch geschlossenen Vorhang. Zwei Nabelschnüre materialisieren sich dort, an denen zwei propere Embryonen hängen, die sich aber schon jetzt nicht grün sind und bis aufs Blut aufeinander losgehen. Brüder im Geiste, ungleiche Zwillinge, noch ungeborene Endgegner? Wotan und Alberich? Stay tuned.

Das ist, obwohl es haargenau so wirkt, kein Serien-Vorspann für das x-te vielteilige Sippen-Drama mit komplex verfeindeten Gegnern und hohem Suchtfaktor – so beginnt, netflixend aufgehübscht, der neue „Ring“ bei den Bayreuther Festspielen. Vier Folgen nur, gerade mal eine Mini-Serie. Wegen Corona zwei Jahre später als gedacht, mit einigen Umbesetzungen und steilen Erwartungen an den sehr jungen Regisseur Valentin Schwarz.

Bayreuther Festspiele 2022: Meister sprang für Inkinen ein

Was man dort zu hören bekommt, ist mal schön, mal gut, aber nur selten umwerfend: Egil Silins macht als Wotan eine mittelprächtige Clanchef-Figur, er singt fast alles mit angezogener Handbremse. Daniel Kirch ist nicht nur in der Rollen-Darstellung des Loge deutlich drüber, auch stimmlich ist er kein sehnig-schleimiger Wiesel-Typ, sondern schon zu heldentenoral unterwegs. Okka von Damerau, die als Erda schon zu früh ins Bild gerät, kostet ihren Kurzauftritt prachtvoll aus.

Das kann man Cornelius Meister im Orchestergraben zunächst nicht konstatieren. Obwohl er heldenhaft mildernde Umstände verdient hat, weil er kurz vor knapp für den an Corona erkrankten Pietari Inkinen vom „Tristan“ zum „Ring“-Dirigat wechselte, wächst er erst im Laufe des Abends an dieser Aufgabe. Zunächst ist vieles zu leise und zu sanft, salzarm, unpräsent und zögerlich. Das gibt sich, als Meister entdeckt, dass man trotz der diffizilen Akustik auch Spaß an und nicht nur Arbeit mit dieser Musik haben kann.

„Rheingold“ mit vielen dicken Fragezeichen

Andrea Cozzis Bühne gefällt sich im Illustrieren. Die Götter-WG wird zur protzenden Besserverdiener-Bleibe, Designermöbel, Bücherwand, Getränkewagen. Was man so hat, wenn Geld keine Rolle spielt. Aber ohne Platz-Not auf unnötig engem Raum untergebracht. Und der Wotan-Clan selbst wurde von Andy Besuch wie aus dem Fundus von „House of Gucci“ eingekleidet. Nah an einer nahen Vergangenheit aus Reichtum und Stillosigkeit, gefühlt tausendmal so oder sehr ähnlich gesehen, auf Bühnen und in Serien.

Wie so oft bei der Aufwärm-Portion des Wagner-Vierteilers ist auch dieses „Rheingold“ mit etlichen dicken Fragezeichen beschwert. Schwartz möchte ganz offensichtlich, dass man erst im Zieleinlauf der „Götterdämmerung“ komplett erkennen wird, was man in den Stunden davor als Dechiffrieraufgabe und Bilderrätsel von ihm serviert bekam.

Was nicht passt, wurde oft auch nicht passend gemacht

Verständlich ist diese Methode, weil sie die Seh-und Versteh-Gewohnheiten der Wagner-Stammkundschaft aushebelt und Aufpassen verlangt, schön ist sie nicht unbedingt. Und sie geht auch handwerklich längst nicht immer auf, was dann umso ärgerlicher ist, weil Schwarz, wenn auch unfreiwillig, so viel mehr Zeit zum Prüfen, Verwerfen und Konzept-Polieren hatte als der handelsübliche „Ring“-Regisseur in Bayreuth.

Alberichs Verwandlungsszenen in Drache und Kröte funktionieren nicht ordentlich, um Freia wird kein Gold geschichtet, Fasolt und Fafner verschwinden auch nicht mit der geraubten Freia, sondern bleiben brav und eher blöd in ihrem Neureichen-SUV sitzen, der in Wotans Auffahrt parkt, bis der eine Riese dort den anderen umbringt. Was nicht passt, wurde oft auch nicht passend gemacht.

Silins hat große Ähnlichkeit mit Robert Geiss

Anderes ist ebenfalls nur ziemlich gewollt lustig: Dass Silins mit großer Ähnlichkeit zum Knallchargen-TV-Helden Robert Geiss die Tennis-Shorts aufträgt, die zum Erst-Wotan und Muskelpaket Friedrich Groissböck ganz anders gepasst hätten. Dass Donner vor dem Einzug der Götter nach Walhall nicht zeigt, was sein mythischer Hammer ist, sondern nur zum Upper-Class-Golfschläger greift und sich prompt den Rücken verzieht. Dass Schwarz es sich letztlich verkneift, die frischgebaute Götterburg hinter den Riesenvorhängen der Göttervilla konkret zu zeigen. Wotan tanzt selbstbesoffen eine Runde, das war es dann aber auch.

Das Gold selbst, den Stoff, aus dem die Traumata sind, muss man sich ebenfalls denken, es ist bislang lediglich der gruppendynamische Treibstoff, als Idee und Straftatmotiv präsent. Und als verhaltensauffälliger Knirps mit goldgelber Baseball-Cap, der ein ungesundes Faible für Handfeuerwaffen, Dingegegenwändewerfen und Kleinemädchenanrüpeln hat. Aus dem, so lernt man schnell, wird wohl noch was werden – wer und ob anständig oder nicht, sollte sich tunlichst bald weisen. Vielleicht ist er aber auch, der miese Charakter zeigt sich dann früh, eine Kindergarten-Ausgabe jenes Hagen, der drei Stücke später Siegfried meucheln wird.

Zu viele Cliffhanger und Andeutungen

Und die vielen heinoblonden Mädchen, die vor einer Regenbogen-Tapete in Nibelheim Wotan-Porträts malen? In der allerersten Szene werden sie, während der stumme Stinker mit seiner Wasser-Pumpgun hantiert, von den adrett singenden Kindermädchen-Rheintöchtern noch an einem Pool behütet, bis Alberich sich diesen Knirps mopst. Hier hat Olafur Sigurdarson den ersten von vielen starken Auftritten, er singt gern laut, frontal und druckstark, was ihn vom Rest des leicht unsensationellen Casts deutlich, aber nicht immer angenehm unterscheidet. Walküren im Vorschulalter wohl sind diese Mädchen, und ist eine von ihnen tatsächlich schon Klein-Brünnhilde? Sie alle sind irgendwie der Schatz, den sie alle wollen und den sie niemandem sonst gönnen.

Mit den komplexen Familienlinien und Auftritts-Ordnungen der Vorlage lässt sich das Wer-gegen-wen-und-warum nicht immer auf einen Nenner bringen, doch da ist die Regie großzügig mit sich selbst im Reinen. Schwarz hat in die ersten Stunden so viele Cliffhanger und Andeutungen gepackt, dass man sich szenenweise so verloren vorkommt wie in der Endrunde der dafür berüchtigten Mystery-Serie „Lost“.

Bayreuther Festspiele: Freia hält sich Pistole an die Schläfe

Das könnte sich rächen, falls er aus dem Umbiegen nicht wieder herausfindet. Die ersten wütenden Buhs, nach denen das Ensemble ungetrübt gefeiert wurde, wären dann nur ein laues Lüftchen. Es könnte aber auch schon, wie bei einer wirklich irre guten Serie, der Anfang von etwas Großartigem gewesen sein. Bevor der Vorhang sich schließt, hält sich Freia die Pistole, die für Wotan Speer-Ersatz war, an die Schläfe. Ein klares, aber wohl eher kein gutes Omen für die nächste Folge.