Hamburg. Wilder Ritt durch Deutschlands Musikszene läutet „Wahlprogramm“ der Hamburger Kulturlandschaft ein und überrascht mit geheimer Headlinerin.
Das hier ist kein Konzertabend, das ist ein Fest für Europa – unmissverständlich wird das den Gästen am Montag schon beim Betreten der Elbphilharmonie. Denn wer sein Ticket einscannt, bekommt nicht wie sonst einen grünen „Go“-Button angezeigt, sondern einen, der auffordert: „Go Vote!“ („Geht wählen!“). Das ist nicht nur ein gerechtfertigter Appell, sondern auch der Name jener Aktionswoche, die das Konzert unter dem Titel „Unsere Stimmen sind laut“ an diesem Abend eröffnet.
Hier dreht sich ausnahmsweise einmal alles um Musik und Politik. Dafür konnten die Elbphilharmonie und die Alfred Toepfer Stiftung, die den Abend in Kooperation organisiert haben, eine ganze Reihe von Popkünstlerinnen und -künstlern gewinnen, die ihre freiheitlich-demokratischen Absichten nacheinander vor dem voll besetzten Großen Saal mit Songtexten und Ansprachen deutlich machen. Und dann kommt auch noch Luisa Neubauer vorbeigeschneit.
Go Vote in der Elbphilharmonie: wilder Ritt mit JEREMIAS, Antje Schomaker, Ami Warning
Ein wilder Ritt ist das: von der poetischen Raffinesse Anna Depenbuschs über die rhythmischen Mutmacherinnen-Texte von Ami Warning bis zum angenehm sonderbaren, ekstatischen Balbina-Gesang und den anrührenden Pop-Jungs von JEREMIAS. Obendrauf gab es Empowerment-Songs der charmanten Antje Schomaker. Wie viel sich doch in anderthalb Stunden lauschen und fühlen und denken lässt. Dass das EU-Motto „In Vielfalt geeint“ ein ziemlich cooler Slogan ist beispielsweise, der sich auch ganz hervorragend auf die Bandbreite der deutschen Popmusik anwenden lässt, die sich an diesem Abend in der Elbphilharmonie zusammengefunden hat.
So abenteuerlich der Musikmix, so ähnlich die Anliegen die Künstler. Sie allesamt plädieren dafür, zur Europawahl die eigene Stimme für Freiheit und Demokratie zu erheben. Insbesondere die Art-Pop-Künstlerin Balbina betont dabei auch das Potenzial der Popmusik, relevante, sinnvolle, demokratische Inhalte zu verbreiten und verstärken: „Wir sehen ja gerade jetzt, was wiederkehrende Melodien auslösen können“, sagt Balbina zum Publikum in der Elbphilharmonie.
Der explizite Verweis auf das rassistische Gegröle im „Sylt-Video“ ist nicht nötig. Doch genau diese Wirkung, Politisches via Popmusik zu verbreiten, lasse sich auch für wertvolle Botschaften nutzen. Flugs dichtet Balbina also ihren Song „Machen.“ um und singt im Refrain „Wählen gehen ist für uns die beste Medizin“.
Konzert Hamburg: Luisa Neubauer als geheime „Headlinerin“ in der Elbphilharmonie
Moderatorin Aminata Belli führt gut gelaunt durch den Abend und hat genügend Umbaupausen zu überbrücken, um regelmäßig das Mantra des Abends zu wiederholen: Am 9. Juni wählen gehen! Zwischendurch kommt sie mit ein paar Gästen ins Gespräch, etwa darüber, ob diese schon per Briefwahl abgestimmt hätten oder was sie denn ändern würden, säßen sie selbst im Europaparlament („Sehr viel!“).
Ein Schnack dürfte dem Publikum aber ganz besonders im Gedächtnis bleiben. Denn unverhofft und unangekündigt hat sich die Klimaaktivistin Luisa Neubauer zu „Go Vote – Unsere Stimmen sind laut“ eingefunden. Die geheime „Headlinerin“ quasi (auch wenn sie selbstverständlich weder gesungen noch anderweitig musiziert hat).
Wählen zu gehen ist für Neubauer nicht nur ein absolutes Privileg, sondern auch unbedingte Verantwortung, „weil ich es für absurd halte, dass wir bereit sind, das alles hinzuschmeißen, weil wir zu faul sind, am Sonntag ein Kreuz zu machen“, sagt sie. Es gehe darum, mit unseren lauten Stimmen die Rechnung der Rechtsextremisten zu durchkreuzen und „den Laden nicht den Faschisten zu überlassen“. Und sie hat einen weiteren Appell für den Großen Saal der Elbphilharmonie im Gepäck: radikal hoffnungsvoll bleiben.
1000 Elbphilharmonie-Tickets für Engagierte aus der Stadtgesellschaft
Kaum verwunderlich: Schon Tage zuvor war der Konzertabend ausverkauft – oder besser: jeder Platz vergeben. Denn 1000 der Besucherinnen und Besucher hatten ihr Elbphilharmonie-Ticket nicht gekauft, sondern geschenkt bekommen. Ganz im Sinne der Sache wurden im Vorfeld Eintrittskarten an Vereine und Verbände, an Engagierte aus der ganzen breiten Stadtgesellschaft verteilt. Die andere Hälfte der Tickets war mit Kosten zwischen zehn und 35 Euro für Elbphilharmonie-Verhältnisse extrem günstig. Zudem ließ sich das Event auch ganz kostenlos online verfolgen.
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Der Abend wurde explizit nicht für das Elbphilharmonie-Stammpublikum organisiert, hatte der kaufmännische Leiter des Konzerthauses, Jochen Margedant, bereits zuvor dem Abendblatt gesagt. Stattdessen sei das Programm für Konzerthaus-Neulinge und insbesondere für junge Menschen entwickelt worden. An diesem Wahl-Wochenende dürfen schließlich erstmals auch 16-Jährige an den Europa- und Bezirksversammlungswahlen teilnehmen.
Wichtig war der Elbphilharmonie, dass die Veranstaltung überparteilich bleibt und es nur eine Wahlempfehlung gibt: hingehen! Wer nicht live vor Ort war, kann sich die Aufnahme des Konzerts weiterhin online auf dem YouTube-Kanal der Elbphilharmonie ansehen.
Und jetzt? Geht es weiter. „Unsere Stimmen sind laut“ war nur der Anheizer, der Auftakt für eine Aktionswoche der GoVote-Kampagne, in der zahlreiche Kultureinrichtungen der Stadt mit Veranstaltungen fürs Wählen-Gehen werben. Das ganze „Wahlprogramm“ der Hamburger Kulturlandschaft sowie Informationen zur Demonstration für Demokratie, die am 7. Juni stattfinden soll, sind unter www.go-vote.de zu finden.