Hamburg. In der Gesprächsreihe „Zündstoffe“ monologisieren und diskutieren Kultursenator und Publizist. An verbalen Spitzen fehlt es aber.
„Gefährdet Hass unsere Demokratie?“ Die Frage, über die am Sonntagvormittag im St. Pauli Theater diskutiert werden soll, ist maximal rhetorisch zu verstehen. Das sieht auch Kultursenator Carsten Brosda (SPD) so, der die Debattenfrage recht schnell mit „Demokratie und Hass, das geht nicht zusammen“ beantwortet, um sich dann gemeinsam mit Gesprächspartner Michel Friedman tief in den wirklich kontroversen Details des Themenkomplexes zu vergraben.
„Zündstoffe“ nennt sich die Gesprächsreihe des Hamburger Theater Festivals, in der Brosda und der Publizist und Philosoph Friedman auf St. Pauli aufeinandertreffen. Das recht kurzfristig eingefädelte Format soll die inszenierten Lesungen des Friedman-Buchs „Fremd“ mit Sibel Kekilli (eine Produktion des Berliner Ensembles) flankieren. Allerdings: So richtig entzünden will sich hier erst mal nichts.
Sylt und die Welt: Brosda und Friedman debattieren Theater Festival
Sehr zurückhaltend von „Spiegel“-Autorin Susanne Beyer moderiert – sie dient eigentlich eher als Stichwortgeberin –, sprechen Brosda und Friedman über die ganz großen Themen: die Zerbrechlichkeit der Demokratie, die Wurzeln von Hass und Hetze, das Übel der Menschenfeindlichkeit und die große Errungenschaft der Menschenrechte. Immer wieder machen sie die abstrakt klingenden Gefahren am Zeitgeschehen fest. Das rassistische Gegröle auf Sylt kommt ebenso zur Sprache wie die sich häufenden Angriffe auf Politiker und die Ängste, die Juden in Deutschland noch heute und seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wieder besonders stark durchleiden.
Dass bei diesem Strauß an Themen die meisten Argumente unausgesprochen bleiben, liegt im Kern der Sache. Als das Gesprächformat des Theater Festivals nach wenig mehr als anderthalb Stunden etwas eilig abmoderiert wird, wirkt es dennoch so, als hätte das Publikum den beiden gern noch länger zugehört.
Michel Friedman legt in Hamburg Versöhnlichkeit an den Tag
Zumal das Gespräch ein Weilchen braucht, um in Gang zu kommen. Anfangs gestaltet sich das Diskussionsformat so, dass Brosda und Friedman abwechselnd monologisieren. Bevor sie den Staffelstab vom jeweils anderen übernehmen, tun sie kurz kund, ob sie ihrem Vorredner zustimmen. Dann breiten sie genüsslich ihre eigenen Gedanken vor dem Publikum aus. Nur sehr allmählich beginnen die Männer, die Ideen des anderen explizit aufzugreifen, mit ihren eigenen abzugleichen, in Einklang zu bringen oder begründet zu verneinen.
Obwohl sich die beiden oftmals höchstens im Kern einig sind und mit Friedman jemand auf der Bühne sitzt, der auch für seine Spitzzüngigkeit bekannt ist, herrscht eine generöse Versöhnlichkeit am Sonntagmorgen im St. Pauli Theater. Spitzen gegen den jeweils anderen gibt es kaum und wenn, dann sind sie verbal stumpfgefeilt oder werden respektvoll zwischen den Zeilen transportiert.
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Theater Festival Hamburg: „Zündstoffe“ mit Michel Friedman
Seinen Anspruch, dem Publikum eine Melange aus Politik und Gefühl zu vermitteln, erfüllt „Zündstoffe“ jedenfalls. Wobei hier die Rollen klar verteilt sind. Während Brosda seine eindrücklichen Schachtelsätze mit Habermas-Theorien anfüllt, argumentiert Friedman eher persönlich. Er seufzt gelegentlich theatralisch, und das rhetorische Mittel des Pathos weiß er einzusetzen. Manchmal denkt man, das sei alles ein bisschen viel; um dann wieder zu finden, dass es für seine leidenschaftlichen Appelle jeden Grund gibt.
Schließlich gelte es, besser jetzt als zu spät eine „hochgefährliche politische Realität“ zu erkennen, sagt er. Salonfähiger Hass dürfe nicht weiter auf eine gestiegene Gleichgültigkeit treffen. Friedman – große Teile seiner Familie wurden während der Shoah ermordet – wirbt für ein unbedingtes „Nie wieder“. „Und kommt mir jetzt nicht mit ,Wehret den Anfängen‘!“, sagt er. Denn dafür sei es bereits zu spät.