Hamburg. Klimaaktivistin Luisa Neubauer erklärt im Interview, warum die aktuellen Proteste mehr als nur Wut gegen Rechtsextreme zum Ausdruck bringen.

Am Sonntag gingen erneut Zehntausende in Hamburg gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Kurz vor Beginn der Demonstration äußerte sich Mitinitiatorin und Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer im Interview mit dem Abendblatt zu der Protestwelle und zur Frage eines Verbots der AfD.

Weder der Aufstieg der AfD in Deutschland ist etwas Neues noch die Art und Weise, wie zum Teil über Flüchtlinge und Migration diskutiert wird. Trotzdem hat es die Enthüllungen über das Treffen in Potsdam gebraucht, um die Proteste gegen Rechtsextremismus auszulösen, wie wir sie jetzt in Deutschland erleben.

Luisa Neubauer: „Es brauchte einen Auslöser, der konkret ist. Das ist gar nicht ungewöhnlich, und das spricht nicht per se gegen die Menschen. Die Demonstrationen, die wir jetzt gerade erleben, konnte es nur geben, weil sich Menschen seit Langem unwohl fühlen und nicht einverstanden damit sind, was am rechten Rand und in Richtung Mitte in Deutschland passiert. Wie wir es damals bei Greta erlebt haben, als sie die Massen gegen den Klimawandel auf die Straßen gebracht hat, brauchte es offensichtlich auch jetzt eine Art Kipppunkt. Es ist ein sehr guter Moment, auf die Straße zu gehen und für die Demokratie geradezustehen. Gleichzeitig ist es ein guter Moment, um sich selbst zu befragen, was man vorher vielleicht nicht hatte hören wollen. Wann hat man zum Beispiel weggehört, wenn migrantische Stimmen gesagt haben, dass sie sich bedroht fühlen?“

Der Zukunftsforscher Matthias Horx sagt, dass es nicht eine Frage ist, ob, sondern wann ein AfD-Politiker in Deutschland ein wichtiges Amt erhält. Und dass dann, wenn dieses Szenario nicht mehr abstrakt, sondern konkret wird, sich die Gesellschaft deutlich wehren wird.

„Wenn ein AfD-Ministerpräsident erst im Amt wäre, wäre es für es viele Menschen in Deutschland nicht mehr aushaltbar, wäre dieses Land für sie kein Zuhause mehr. Wir sollten nicht auf diesen einen Moment warten, sondern darüber nachdenken, was jetzt passieren muss, damit wir noch Schlimmeres verhindern können. Was Demonstrationen bewirken können, ganz konkret in diesem Augenblick, ist, ein Bild von einer Demokratie zu zeichnen, für die es sich lohnt, einzustehen. Auch deshalb haben Faschisten Angst vor diesen Demonstrationen. Wer jetzt auf der Straße steht, demonstriert nämlich nicht nur die Wut gegen Rechtsextremismus. Man demonstriert auch die eigene Bereitschaft, sich reinzuhängen. Und das ist es, was zählt.“

AfD verbieten? Luisa Neubauer unterstützt Debatte

Spitzenpolitiker freuen sich über die Demonstrationen und loben die Wehrhaftigkeit der Demokratie.

„Ich finde, es fällt schon auf, dass sich politische Stimmen selig und berührt für die demokratische Grundordnung einsetzen. Wenn man dann aber zurückblickt, stellt man fest, dass diese politischen Stimmen in der eigenen Rhetorik auch immer wieder rechts ausgeschlagen sind. Wenn die AfD einen Rechtsruck möchte, sind andere Parteien schlecht beraten, wenn sie darauf mit einem eigenen Rechtsruck reagieren. Das stärkt die Position der AfD und schwächt das demokratische Spektrum.“

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Demonstrieren ist das eine, ein Verbot der AfD wäre das andere.

„Ich unterstütze die Verbotsdebatte, wobei es erst mal natürlich um die Prüfung eines Verbotes gehen muss. Es wird dann ja oft gesagt, dass so eine Debatte die AfD stärkt. An dieser Stelle müssen wir uns einmal entscheiden: Praktisch alles, was wir gegen die AfD machen können, droht die AfD zu stärken. Und trotzdem müssen wir es probieren, aber natürlich nicht blind und unüberlegt. Aber die Demokratie hat uns nicht ohne Grund Mechanismen mitgegeben, um gegen Demokratiefeinde vorzugehen. Wenn wir jetzt aufgeben, diese Mechanismen anzuwenden, läuft man Gefahr, sich selbst aufzugeben.“

Viele fragen, einige wundern sich, dass Fridays for Future auf einmal nicht mehr nur zu Klimaprotesten aufruft, sondern auch zu Demonstrationen wie der jetzt in Hamburg.

„Völlig egal, ob man Klimaaktivistin ist oder nicht: Es gibt Momente, um Haltung zu zeigen. Ich wäre jetzt auch auf der Straße, wenn ich gar nichts mit Fridays for Future zu hätte. Dazu kommen aber auch andere Gründe: Zivilgesellschaft fällt nicht vom Himmel. Um Massendemonstrationen zu organisieren, braucht es ganz viel Wissen und Erfahrung, und das hat Fridays for Future. Und wir sehen uns in der Verantwortung, das alles in einem Moment wie jetzt einzusetzen. Als Klimaaktivistin frage ich mich schließlich, wie wir die Klimakrise bewältigen wollen, wenn wir uns immer weiter in diesem Land fragmentieren, wenn die Ausgrenzung in jeder Richtung immer weiter zunimmt. Aus dem ökologischen Gedanken heraus ist es so wichtig, dass wir zusammenwachsen und Gemeinsamkeiten suchen. Der Faschismus ist nicht klimagerecht, so viel steht fest.“