Hamburg. Kein einfacher Konzertabend: Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester mit Schostakowitschs 13. Sinfonie.
Teodor Currentzis und eine Schostakowitsch-Sinfonie in der Elbphilharmonie? Ohne Putins erneuten Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 wäre das ausschließlich ein weiteres faszinierendes Konzert dieses Dirigenten gewesen. Jetzt, im Herbst 2023, war es ein immer noch faszinierendes, aber auch schwieriges Wiedererleben eines Künstlers mit Ensembles und einem Arbeitsmittelpunkt in Russland, der wegen seiner Haltung zu Putin und seiner vielen Nicht-Aussagen dazu heftig umstritten ist.
Elbphilharmonie: Currentzis, der Krieg und die vielen Widersprüche
Denn Currentzis schweigt weiter und macht im Westen dort weiter, wo er nach wie vor eingeladen und geduldet wird. Noch ist Currentzis, der in Putins Russland aktiv staatlich und privatwirtschaftlich gefördert und gefeiert wird, auch Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters. Diese Verbindung läuft 2025 aus.
Nun also ausgerechnet – wie schon im Sommer bei den Salzburger Festspielen – die 13., 1962 veröffentlicht, mit dem Beinamen „Babi Jar“. Eine erschütternde, Musik gewordene Erinnerung an ein Massaker der SS, die 1941 in der Nähe von Kiew rund 33.000 jüdische Menschen abschlachtete. Eine Sinfonie, die auch, was für ein Balanceakt auf Messers Schneide damals, den Antisemitismus in der Post-Stalin-Sowjetunion anprangerte. Auch Schostakowitsch selbst hatte sich immer wieder mit den jeweiligen Spitzen des Machtapparats im Kreml arrangieren müssen.
Elbphilharmonie:
Im März 2022 wurde die Gedenkstätte in Babyn Jar durch russische Raketen beschädigt, Menschen starben. Jeden Tag wird seitdem in der Ukraine gestorben, weil Russland seinen Nachbar überfällt. Und jener russische Bassist, der den Solo-Part in dieser Produktion hatte singen sollen, war kurz vorher doch noch ausgetauscht worden.
Von ihm waren Nachrichten in sozialen Medien und Aktionen bekannt geworden, die Putins Barbarei deutlich zu unterstützen schienen. „Wir waren zu jedem Zeitpunkt davon überzeugt, dass unsere Vertragspartner beim SWR den im Raum stehenden Vorwürfen mit der gebotenen Sorgfalt nachgehen. Es ist gut, dass Alexander Vinogradov die Bass-Partie übernehmen wird“, so der Kommentar aus der Pressestelle der Elbphilharmonie, die sich zum Gastspielprogramm bedeckt hielt: „Dafür ist das auftretende Orchester zuständig.“
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Und um das Ganze noch komplexer zu machen, war da noch diese Zugabenrunde mit Kammermusik, die das SWR-Orchester regelmäßig mit unangekündigten Überraschungen hinter die Hauptprogramme setzt. „Nachdem mit ,Babi Jar‘ der jüdischen Opfer des Antisemitismus gedacht wurde, feiert das Nach(t)konzert die Lebendigkeit jüdischer Kultur“, steht auf dem Beipackzettel zu Absichten und Zwischentönen, der im Foyer verteilt wurde.
Elbphilharmonie: Currentzis lässt die Musik für sich sprechen
Prokofjews „Ouvertüre über hebräische Themen“, ein „Sholem – Alekhem“ und ein lebenspraller, überbordend froher Klezmer-Tanz. Alles nur Make-up, all das nur Täuschung und Augenwischerei, ein zynisches Ablenkungsmanöver? Kaum zu glauben. Currentzis will nur die Musik für sich sprechen lassen. Und damit auch für ihn.
Auf die Bühne kam er, noch ein Symbol, in einer Art Büßerhemd, wirkte geläutert und geradezu bescheiden. Dass Antoine Tamestit im ersten Teil ein neues Bratschenkonzert von Marko Nikodijević spielte, war honorig, aber in diesem derart aufgeladenen Kontext reichlich irrelevant. Der Schostakowitsch war wie zu erwarten: großartig, bitter, aufbrausend, grell überzeichnend und ungebremst immer ganz tief hinein in die Extreme. Tosender Beifall. Kein Wenn. Kein Aber. So viele Widersprüche. Kein einfacher Abend.
Weitere Currentzis-Konzerte mit dem SWR Symphonieorchester am 12. Dezember, Mahler: Adagio aus der 10. Sinfonie, dazu Werke von Manoury, Andre, Schwartz und Retinksy und am 16. Juni 2024: Britten „War Requiem“.