Hamburg. Das NDR-Orchester spielt unter Hamburgs Ex-Generalmusikdirektor Schostakowitschs 13. Sinfonie in der Elbphilharmonie.
Falls die Engagements von Ingo Metzmacher Teil eines größeren Plans der Elbphilharmonie-Intendanz sein sollten, wäre der beim Thema Schostakowitsch zwar prima, aber leider auch langfristig angelegt. 2017, kurz nach der Eröffnung, stemmte der frühere Hamburger Generalmusikdirektor mit den Wiener Philharmonikern beeindruckend die Sinfonie Nr. 11 in den Großen Saal.
Nun, mit dem NDR-Orchester, folgte dort Nummer 13. Ganz anders, mindestens so beeindruckend, extrem gründlich gearbeitet. Bei gleichbleibendem Tempo stünde die letzte der 15 Sinfonien mit Metzmacher Ende 2025 im Spielplan.
Politisch brisantes Stück
Geschrieben wurde die 13. in den frühen 1960ern, in eine der vielen machtpolitisch heiklen Phasen der Sowjetunion hinein. Schostakowitsch vertonte Jewtuschenko-Texte, deren kaum chiffrierte Aussagen extrem gewagt waren; sie balancierten auf des Messers Schneide.
Zu Beginn, nach Erwähnungen von Anne Frank und dem Massaker von Babi Jar, geifert der großartige NDR/WDR-Männerchor die tumbe Hass-Parole „Schlagt die Juden tot! Für Russland!“, wenig später hält der noch großartigere Solo-Bass Mikhail Petrenko als aufrichtige Stimme des Gewissens dagegen: „Kein jüdisches Blut fließt in meinen Adern, und doch erlebe ich den tiefen Hass aller Antisemiten, als wäre ich selbst Jude“.
Grell überzeichnete Satire
Im nächsten Satz macht sich Schostakowitsch mit grell überzeichneter Satire über jene Herrscherkaste lustig, die glaubt, sie bekäme den Humor ihrer Untertanen fest in den Würgegriff. Die Alltags-Heldinnen, „erschöpft vom schweren Tragen“ aller Lasten unter der Sonne des Sozialismus werden pathetisch stolz gewürdigt, nach einem nachtfinsteren Satz über kollektive Ängste endet die 13. mit einer vergifteten Farce über Karrieristen.
Noch heute hält man den Atem an angesichts der Tapferkeit von Schostakowitsch, Widerspruch gegen Ideologien und ihre Anhänger einzulegen. Metzmachers seit Jahrzehnten bewährte Methode, diese Plädoyers wirken zu lassen, war ganz simpel: nichts beschönigen. Und die Gewissheit, dass dieses Aufbäumen notwendig ist.
Überirdisches Klangwabern
Vor dieser Moral-Predigt erklang so ziemlich das genaue Gegenteil: Ätherische Frauenstimmen der Chöre von NDR und WDR, umwabert vom überirdischen Klangwabern einer Ondes Martenot und mit kosmischem Glitter bestreut durch die Klavier-Einsprengsel, für die der Pianist Cédric Tiberghien neben den NDR-Streichern zuständig war. Feinster, abgehobenster Messiaen, seine „Trois petites liturgies de la présence divine“. Himmel und Hölle an einem Abend, was für ein Programm.
Das Konzert wird Sonntag, 18 Uhr, wiederholt. Restkarten evtl. an der Abendkasse.
CD-Tipp: Schostakowitsch „Lady Macbeth von Mzensk“ Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper, u.a. mit Angela Denoke (Orfeo, CDs, ca. 17 Euro)