Hamburg. Gnade wird nicht gewährt: In seinem Sechsteiler ist der Hamburger auf dem Ballermann, spielt selbst – und singt ständig. Auweia.
Der Ballermann-Erfolg ist längst da, geht ja auch ganz einfach: Man muss nur sinnlose Lieder für sinnlose Leute singen. Also, Peter Voss und Torben Bruhns, zwei vorher arbeitslose Partybandmusiker aus Hamburg, sind in der Suffschlagerhölle von Mallorca groß im Geschäft. Dachten sie jedenfalls, aber dann gab es Knatsch, Eifersüchteleien, und der Geschäftspartner zockt sie auch noch ab. Es folgt: Rumgezicke, Streit. Torben: „Nicht auf dem Niveau!“ – Peter: „Wie geschmacklos kann man sein?“
So bewusst entlarvend soll es dann schon sein in der neuen Amazon-Prime-Serie „Last Exit Schinkenstraße“, in der sich die beiden insgesamt doch ziemlich schmerzbefreiten Protagonisten zum Schluss mit verbalen Keulenhieben kommen, die auf das Absinken des Gegenübers in jegliche Niederungen zielen.
„Last Exit Schinkenstraße“ auf Amazon: Eine Buddy-Komödie des balearischen Missvergnügens
Ja, ja, ja: Niveau weshalb warum? Das ist der Feier-Imperativ der Leute, die dem armen, malträtierten Insel-Hotspot Palma de Mallorca seit Jahrzehnten Schlaf und Würde rauben. „Last Exit Schinkenstraße“ handelt vom Amüsement jenseits des guten Geschmacks – und den Menschen, die jenes von den Ballermann-Bühnen aus anheizen. In Gestalt einer kurz gehaltenen Buddy-Komödie, in der der Stumpfheit des balearischen Missvergnügens mit kommunikativer Stumpfheit begegnet wird.
Wobei, was heißt stumpf? „Last Exit Schinkenstraße“ ist die erste TV-Serie des Hamburger Humor-Giganten Heinz Strunk. Lange angekündigt, im Frühjahr unter anderem in Meiendorf und dann, ging ja nicht anders, auf Mallorca gedreht. In Strunks Werk ist das ständige Sprücheklopfen und Blödeln eine von Tiefsinn und Tristesse unterspülte zwischenmenschliche Regung, und in „Last Exit Schinkenstraße“ tritt sie nun auch auf.
- Papa ist Gott- Die „Familie“, ein Peiniger – und das Verlies
- Roisin Murphy- So gut wie nie dank Hamburger Soundgenie
- Ein Treffen von Autoren, die sich auch mal schämen müssen
Geballt, wirklich sehr geballt. Was bedeutet: Strunk-Fans werden diese neue Erzählung des Meisters im für ihn übrigens nicht ungewohnten Medium lieben. In Lars Jessens Strunk-Verfilmung „Jürgen – heute wird gelebt“ spielte er 2017 eine Hauptrolle, und „Fraktus“ wäre da ja auch noch zu nennen. Wer aber bislang mit Strunk nichts anfangen konnte, wird auch hier manchmal ratlos mit den Schultern zucken.
Heinz Strunks „Last Exit Schinkenstraße“: Mit dabei sind Charly Hübner und Mickie Krause
Die Story ist ziemlich dünn, aber das macht die Message halt besonders fett: Das Entertainerdasein ist im Schützenfestzelt auf Malle die allerhärteste Existenzform. „Niveau“ und „Geschmack“ sind das, was man in den Niederungen des mallorquinischen Showbiz nicht kennt, das wissen die beiden „armen Willis“ Peter (Heinz Strunk) und Torben (Marc Hosemann), die bei der Hamburger Gaudiband „Boarding Time“ gerade rausgeflogen sind. Ihren letzten Auftritt haben sie bei einer Festivität der Fleischereiinnung („Herzlich Willkommen zum Rohwurstforum“). Charly Hübner („Alarmstufe Rahmstufe – ich kann euch nicht hör’n!“) darf als Tanzkapellenchef grausame Lieder grausam ankündigen.
Später treten noch Mickie Krause himself, Olli Schulz als Club-Faktotum und H.P. Baxxter als fixer Toningenieur auf. Da sind Peter und Torben schon in der Schinkenstraße. Im „Royal Palace“, wo sie unverhofft als Rampensäue gebucht worden sind. Mit ein bisschen Übung wird letzteres übrigens lediglich Peter beziehungsweise der als Mallorca-King neu geborene Pierre Panade, also Heinz Strunk.
„Last Exit Schinkenstraße“: „Ciao Bella, Frikadella“ und andere Sprüche
Was einer gewissen Logik folgt: Der Drehbuchautor Strunk ist in seiner ersten Karriere Musiker gewesen. Er kann ein bisschen singen und ja tatsächlich Saxofon spielen. „Lass uns mal was improvisieren, a-major, acht Takte und dann chromatisch hoch in der Rückung…“ – feinster Mucker-Sprech zwischendurch, wo doch vor allem eine förmlich erdrückende Kalauerdichte festzustellen ist.
Die reden eigentlich alle in flachen Wortwitzen und lauen Lebensweisheiten. Was man für mies differenziertes Figuren-Einerlei halten könnte – es ist beinah irritierend, als Katharina Wackernagel und Bjarne Mädel mal eine komplett ernsthafte Beziehungsszene spielen –, ist am Ende das ganze Konzept. Strunk wollte eine Komödie schreiben, und das ist es dann auch geworden. Eine Auswahl der in Hamburg geläufigen Weltsprache Strunkisch: „Ciao Bella, Frikadella“. „Das kalte Wasser wird nicht wärmer, wenn du später springst“. „Eine Vision ohne Aktion ist nur eine Illusion“. „Ich hab’ Durst, als sei mir die ganze Bundeswehr auf Strümpfen durchs Maul gelatscht“.
Peter („Bei mir gibt’s auch Tage, da trink’ ich die ganze Woche nichts“) säuft zu viel, Torben wird von der Familienmatriarchin und Kassenwartin, seiner Frau Ilona (Bettina Stucky), unter Druck gesetzt. Aber eine Karriere legen sie in Palma dennoch hin. Das Knalltüten-Duett aus Hamburg hat schnell die Hit-Formel verinnerlicht (Peter: „Das ballert richtig“), bringt die Halle zum Grölen und ist sogar in der Glotze zu sehen, wird aber dann von allen betrogen. Strunk-Erzählungen dürfen nie Erfolgsgeschichten sein.
Pure Parodie oder Hommage an eine Entertainment-Form?
Zunächst können ihnen die Zuschauerinnen und Zuschauer beim Ideen-Sammeln („In die Strophen so alle Saufsprüche reinpacken, die wir so kennen“, „Hauptsache sinnlos“) und Dada-Philosophieren („Du sollst nicht lecken, bevor es tropft“) nach Kräften zusehen. Die schwinden bemerkenswerterweise nie. Warum auch: Die Serie – sie ist übrigens visuell eher schlicht gehalten – ist die Bildschirm-Trendwaffe der Gegenwart, weshalb die insgesamt lediglich nur 120 Minuten „Last Exit Schinkenstraße“ statt als längerer Spielfilm in sechs knappen Folgen verabreicht werden.
Man bleibt aber ratlos im Hinblick auf die Frage, ob das alles nun eine Hommage an ein knochenhartes Business ist oder doch nur pure Parodie (vulgo: Verarsche), gar Publikumsbeschimpfung (Gastauftritt Mickie Krause!) ist.
Ein Best of Strunk ist „Last Exit Schinkenstraße“ in jedem Fall. Mal läuft sein „Coffee-Song“ im Hintergrund, mal macht Torben fiese Käsi-Jokes, und einer der für den Ballermann geschriebenen Songs (neben Perlen wie „Liebesdöner“ und „Spricht du Emoji?“) heißt tatsächlich „Fleisch ist mein Gemüse“.
„Last Exit Schinkenstraße“ feiert am 2.10. auf dem Filmfest Hamburg Premiere. Ab 6.10. ist die Serie auf Amazon Prime abrufbar.