Mit ihrer Band Fraktus führte Studio Braun beim ersten von drei ausverkauften Fabrik-Konzerten die Musikgeschichte ad absurdum.
Hamburg. "Da da da". "Na naa na nana". "Hurz". Mitunter bedarf es nur eines einfachen Ausrufs, um Musikgeschichte zu schreiben. Im Fall des Brunsbütteler Trios Fraktus klingt das akustische Signet ein wenig wie Tarzan in der Großraumdisco: "Oh Oh Oheyo!"
Doch bevor die in jüngster Zeit heftig gefeierten "Urväter des Techno" am Donnerstag die Bühne der Fabrik betreten ("Wir sind seit 1982 nicht mehr in Hamburg aufgetreten"), sehen die Fans zunächst das kurze Video eines erfolgreichen, aber gerne auch verlachten Vertreters des Genres: H.P. Baxxter verneigt sich beim Gig seiner Band Scooter vor Fraktus und animiert die Massen zum kollektiven "Oh Oh Oheyo!" Wissendes Gelächter im Altonaer Stadtteilzentrum. Denn die meisten der Anwesenden fahren bereits seit einer Weile mit in dem Identitätskarussell, das an diesem Abend (und bei zwei weiteren ausverkauften Fabrik-Konzerten) noch eine Stufe höher geschaltet werden soll.
Für die, die diesem Rummel bisher nicht beigewohnt haben, sei erläutert: Die Elektro-Pioniere Fraktus sind Alter Egos der Hamburger Kulturaktivisten Jacques Palminger, Rocko Schamoni und Heinz Strunk alias Studio Braun, die das Land mit Musik, Romanen und Theaterstücken humoristisch bis psychedelisch infiltrieren. Und die nun mit der fiktiven Doku "Fraktus - Das letzte Kapitel der Musikgeschichte" eben jener im Kino eine lange Nase drehen.
Die Menge in der Fabrik wiederum verlangt nach der Ironie der Ironie der Ironie. Sie lechzt nach Kalauern und Kinderkram, die Subkultur und Sozialkritik mit sich führen wie Hipster den Jutebeutel. Sie wollen das Zitat. Denn der Fake mag womöglich authentischer sein als die wirkliche Popkultur (die natürlich nie real ist). Ob das live klappt?
"Fraktus" raunt es aus dem Off, bevor sich Bernd Wand (Palminger), Dickie Schubert (Schamoni) und Thorsten Bage (Strunk) hinter drei Synthesizern positionieren. Klar, Kraftwerk hat offenbar bei Fraktus geklaut. Kein Wunder, dass die Minimalpopper jetzt in den Museen der Welt ebenfalls ein Comeback versuchen.
"Komm' jetzt mit in den Untergrund", proklamiert Schubert, während Bage die dröhnenden Bässe mit nervösem Querflötenspiel flankiert. Mit ihren beleuchteten Schutzhelmen wirken die drei wie postapokalyptische Deichkind-Klone. Ab und an marschieren sie wie fehlprogrammierte Roboter umher. Mit viel Laserspektakel und verzerrten Stimmen führen sie dann mit der Nummer "Kleidersammlung" den Techno ad absurdum. Wenn schon sinnbefreit, dann wenigstens Englisch lernen: "Gib mir Deine alten Schuhe/Give me your old shoes." H.P. Baxxter bliebe da wohl nur die Frage: Was kostet der Fisch?
Anhand des Publikums, wo die Altpunkerin neben dem Szenejungspund steht, ist nicht zu erkennen, welche Band da spielt. Die Protagonisten hingegen wissen das ganz genau. Zum Glück. Denn am besten ist diese konzertante Inszenierung eigentlich immer dann, wenn die Akteure die Spleens ihrer Figuren zwischen den Songs ausleben. Wenn sich der leicht tumbe Schubert und der elitär näselnde Bage anzicken und bespucken. Und wenn Wand seine Hypochondrie ("Ich habe einen Wurm im Adamsapfel") zum Gesetz macht ("Ich finde Euch hier vorne in der ersten Reihe echt süß, aber bitte nicht husten, dreht Euch am besten um"). Und wenn dieser drahtdünne Mann sich eine Geschichte von einem Reisigmütterchen im Michel zurechtfabuliert, das leise "Oh Oh Oheyo!" ruft, dann erinnert das an die grandiosen Improvisationen, mit denen Studio Braun einst live seine Telefonscherze ausübte.
Wie es dem Nonsens aber nun mal zu eigen ist, kann er auch gehörig nerven - mit zwei Zugaben inklusive einer "Schlacht der Sirenen" zwischen Wands Laserkanone und dem von Schubert entwickelten Dickiephon. Wie der Film hätte auch das Konzert um einige Sequenzen gekürzt werden dürfen. Aber letztlich ist die Überreizung bei Fraktus Programm. Vielleicht ja sogar Kunst. Auf jeden Fall aber : "Oh Oh Oheyo!"