Hamburg. Große Gruppenausstellung, Party und ein Blick zurück: Welches Geheimnis hinter dem enormen Erfolg der Kunstplattform steckt.
Eine Ringvorlesung in Berlin wurde zum Erweckungserlebnis. Luise Nagel studierte am kunstgeschichtlichen Seminar, „normalerweise beschäftigten wir uns mit Mittelalter“, erzählt sie schmunzelnd, „aber ab und zu kamen auch lebende Künstler“. Einmal war Andreas Slominski zu Gast und sagte zwei Stunden lang nichts vor den Studenten, verzog keine Miene, lachte nicht. Ihr Dozent schwitzte, Luise Nagel aber dachte: „Cool. Eine Galerie, die mit so einem Künstler zusammenarbeitet, da will ich arbeiten.“
Das war 2010, kurz darauf startete die junge Frau bei der Produzentengalerie durch, die damals neben Hamburg noch einen zweiten Standort in Berlin hatte, in einem verlassenen Hinterhof an der Potsdamer Straße. „Wir mussten Baustrahler aufstellen, damit die Leute uns finden“, erinnert sie sich. Und an eine besondere Ausstellung: die erste Einzelausstellung von Annika Kahrs. Sie ist eine der bedeutenden Künstlerinnen, die zur Galerie kamen, um bis heute zu bleiben.
50 Jahre Gegenwart: So feiert die Produzentengalerie Hamburg
Seit 50 Jahren ist die Produzentengalerie Hamburg Plattform für zeitgenössische Kunst: Ulla von Brandenburg, Bogomir Ecker, Astrid Klein, Nicole Wermers, Thomas Schütte zählen zum erlesenen Programm, die meisten von ihnen seit vielen Jahren. Sie haben international renommierte Groß- und Museumsausstellungen sowie Teilnahmen an Biennalen und der documenta vorzuweisen. „Ein Gespür dafür haben, welche Künstlerinnen und Künstler sich entwickeln können und sich dann entscheiden, den Weg gemeinsam zu gehen“, bringt Luise Nagel die Erfolgsformel auf den Punkt.
Und ihr Kollege Gideon Modersohn, seit 2012 Partner der Galerie, ergänzt: „Dabei gibt es keine Exklusivverträge. Wir erheben keinen Anspruch auf eine Künstlerin oder einen Künstler. Unsere Zusammenarbeit fußt auf gegenseitigem Vertrauen und Offenheit.“ Doch wie baut man solch eine Expertise und solch ein Vertrauensverhältnis zwischen Galerist und Künstler auf? Um das zu verstehen, muss man an die Anfänge der Galerie zurückgehen.
Produzentengalerie Hamburg: Zur Vernissage kamen Joseph Beuys und Gotthard Graubner
Die Gründer der Galerie waren alle selbst Künstler. Die erste Ausstellung 1973 bestritten Gustav Kluge, Rainer Noeres, Harald Rüggeberg, Peter Sander sowie Cilvia und Jürgen Vorrath. „Die Zentren für zeitgenössische Kunst waren in den 1970er-Jahren Köln, Düsseldorf und Krefeld. In Hamburg und Umgebung gab es kaum Ausstellungsmöglichkeiten für junge Künstler“, sagt Jürgen Vorrath. „Und das, obwohl wir mit der HfbK schon damals eine der fünf besten Kunsthochschulen Deutschlands hatten.“ Aus dieser Not heraus bauten sich Vorrath und seine Kollegen einfach selbst eine Bühne, zunächst am Grasweg in Winterhude.
Zur Vernissage kamen Joseph Beuys und der Maler Gotthard Graubner. Man war gut vernetzt, es sprach sich herum, dass da in Hamburg etwas im Gange war. „Aber wir merkten auch, wie schwierig es war, sich als Künstler zu behaupten und zu vermarkten“, so Vorrath. So kam es schließlich zur Gründung einer kommerziell arbeitenden Galerie, die Gründer gaben ihr eigenes Künstlerdasein auf.
Existenziell war und ist der enge Austausch mit Kunstsammlern
Der Draht zur Hochschule für bildende Künste war stabil, und das ist er bis heute. Viele Künstler von dort, die bei den Produzenten im Programm sind, gehen später wieder ans Lerchenfeld zurück als Dozenten oder Professoren. Der einstige HfbK-Präsident Carl Vogel sagte mal, dass die Galerie eine unglaublich hohe Trefferquote habe, was die Qualität und den Erfolg der von ihr vertretenen Künstler angehe, sie läge quasi nie daneben.
Und noch etwas war und ist existenziell für die Produzenten: der enge Austausch mit Sammlern wie Sohst, Gercken, Liebelt, Schröder, Olbricht und Falckenberg, um das anspruchsvolle Programm zu bestücken. Als man 1980 in größere und repräsentativere Räume in die Barmbeker Straße gegenüber der Kampnagelfabrik zog, konnte man auch inhaltlich größer denken. Meilensteine waren die Ausstellung 1982 in Halle 6 mit Carl Andre, SolLeWitt, Richard Long und Franz Erhard Walter sowie die Jenisch Park Skulptur 1986 mit Werken von Stephan Balkenhol, Felix Droese und Bernhard Prinz.
Über Ausstellungsprojekte wird demokratisch abgestimmt
Beim gemeinsamen Gespräch der heutigen Partner Vorrath, Sander, Nagel und Modersohn bei Kaffee und Keksen kommen weitere Erinnerungen an gemeinsame Projekte hoch, etwa die spektakuläre Installation von Andreas Slominski, bei der er 1997 im Innenraum des heutigen Galeriestandorts an der Admiralitätstraße 71 demontierte Windmühlenflügel rituell verbrannte. Oder das große Schiffstau, das Olaf Menzel zwischen zwei Säulen spannte – und sonst nichts zeigte.
Über Ausstellungsprojekte wird bei der Produzentengalerie demokratisch und partnerschaftlich abgestimmt. Die Atmosphäre ist kollegial und freundlich. Die Jungen können sich auf das Wissen und die Kontakte der Gründungspartner verlassen, die Älteren schätzen den frischen Blick und den sicheren Umgang mit digitalen Abläufen und dem sich rasant beschleunigenden Kunstmarkt der zweiten Generation. Dass dieser Wechsel so gut klappt, ist nicht selbstverständlich im Galeriegeschäft. Und dabei so wichtig, um Kontinuität zu gewährleisten.
Künstlerinnen und Künstlern größtmögliche Freiheit geben
Die Kunst bestehe darin, aus einer Ausstellung nicht automatisch eine Verkaufsausstellung zu machen, sondern den Kreativen so viel Freiraum wie möglich zu geben, so Luise Nagel. Wie groß dieser Raum sein kann, zeigten zwei Ausstellungen im Jahr 2021: Paul Spengemann legte den Galeristen nach vielen Tag- und Nachtschichten lediglich ein Smartphone samt Ladekabel auf den Tisch („Pocket Call“), und wenige Monate später richtete Christoph Blawert eine laut Nagel „vollgestopfte, miefende Junggesellenbude“ für seine Bilder ein, in der er sogar selbst übernachtete.
„Das hat mich immer an euch fasziniert, diese starke Inszenierung der Räume und dass die Künstler eigentlich eine Carte blanche haben“, lobt Mario Kramer, seit 1982 mit der Galerie verbunden. Der ehemalige Sammlungsleiter am Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main hat die Jubiläumsausstellung „Gegenwartsgesellschaft“ kuratiert. 75 Künstlerinnen und Künstler der Galerie teilen sich 75 Quadratmeter, die Präsentation der Werke beruht auf dem Zufallsprinzip. Das sei für ihn spannender als jede erdachte Ordnung – schließlich bestehe das ganze Leben ja aus Zufällen.
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Das kann Galeriegründer Peter Sander nur bestätigen. Er erinnert sich an seine erste Begegnung mit dem Künstler Blawert: „Das war in einer Teppichwäscherei, an der ich zufällig mit meiner Frau vorbeikam. Wir unterhielten uns, und ich bat ihn, mir ein paar seiner Arbeiten zu zeigen.“ Kurze Zeit später habe Blawert bei ihm zu Hause einen Rollkoffer mit Bildern und Pappen ausgeladen – „da war ich absolut glücklich.“
„Gegenwartsgesellschaft“ 8.9.–22.12., Produzentengalerie Hamburg (S Stadthausbrücke), Admiralitätstraße 71, Mi–Fr 12.00–18.00, Sa 12.00–15.00, Eintritt frei, produzentengalerie.com