Hamburg. Die neuen Skulpturen und Reliefs des berühmten Bildhauers Stephan Balkenhol bewegen sich zwischen Gut und Böse.

Im Treppenhaus an der Admiralitätstraße 71 ist ein Tisch mit Stühlen in der ersten Etage aufgebaut. Ein paar Flaschen Wasser und Wein stehen nebst Gläsern darauf, und daran sitzt ein Mann mit großer Brille im hellblauen Hemd und raucht Zigarillo. Er begrüßt die Menschen auf dem Weg in den Galerieraum, manche mit Handschlag, manche mit einer Umarmung. Ein paar Kinder kommen von oben die Treppe hinunter und bleiben an den beiden Tellern mit Salzgebäck stehen. „Dürfen wir?“. Klar dürfen sie zugreifen, sagt der Mann und lächelt mild.

Die Kinder wissen nicht, dass hier der Künstler vor ihnen sitzt, dessen Werke in Galerien und im öffentlichen Raum über ganz Europa verteilt stehen und mittlerweile fünfstellig verkauft werden. Und, dass sie ein paar davon höchstwahrscheinlich kennen: den Mann auf der Giraffe, der am Eingang zu Hagenbecks Tierpark steht, oder die langbeinigen Figuren vor der Bücherhalle am Hühnerposten.

„Mann mit Giraffe“ vor dem Tierpark.
„Mann mit Giraffe“ vor dem Tierpark. © picture alliance / Public Ad / Mirko Hannemann

Stephan Balkenhol hat lange in Hamburg gelebt

Wenn Stephan Balkenhol (65) zusammen mit seiner Frau und den beiden Töchtern, fünf und sieben Jahre alt, in Hamburg ist, der Stadt, in der er „16 prägende Jahre“, unter anderem an der Hochschule für bildende Künste, verbrachte, dann fahren sie auch gemeinsam nach Stellingen und gucken sich an, was Papa so während seiner Arbeitszeit tut. Mit seinen kräftigen, gepflegten Bildhauerhänden aus puren Holzstämmen wunderbare Skulpturen formen, nach einer Kreide-Vorzeichnung erst mit einer Axt, später mit Säge und Meißel und am Schluss mit Farbe und Pinsel.

An diesem Sonnabend ist Deutschlands bedeutendster Bildhauer allein gekommen, die Familie ist in Kassel geblieben. Das ist mittlerweile sein Hauptwohnsitz; daneben gibt es noch Karlsruhe, wo Balkenhol einen Lehrauftrag an der Akademie der bildenden Künste hat, und ein Haus mit Atelier im lothringischen Meisenthal, „aber dort bin ich im Moment seltener“, sagt er.

Ausstellung von Balkenhols Skulpturen

In der Galerie von Holger Priess auf der Fleetinsel zeigt er Skulpturen und Reliefs, die hauptsächlich in diesem Jahr entstanden sind, einige darunter stammen sogar aus den vergangenen Wochen. Sie sind, ebenso wie der Künstler, erst am Morgen vor der Eröffnung in Hamburg angekommen. Aber es wirkt nicht so, als wäre hier irgendetwas mit der heißen Nadel gestrickt worden.

Alles ist exakt an seinem Platz, nur ein paar Kratzspuren auf dem Boden erinnern daran, dass die 150 bis 250 Kilogramm schweren Holzblöcke mitsamt den Figuren darauf vor wenigen Stunden erst zurechtgerückt wurden.

Balkenhol: " Besonders die Figur des Teufels fasziniert mich"

Holger Priess und Stephan Balkenhol kennen sich schon seit über 30 Jahren, alle drei Jahre stellt der Galerist aktuelle Arbeiten von ihm aus. Während dieser Zeit hätten sie so einiges miteinander erlebt, erzählt der Galerist. „Ein Mal war die Spedition in einen Schneesturm geraten und hatte es nicht rechtzeitig hierher geschafft. Und so fand die Vernissage mit vielen geladenen Gästen ohne ein einziges Kunstwerk statt.“ Die jetzige Ausstellung trägt den Titel „Teufel noch mal ...!“, das Motiv auf der Einladung ist ein Teufelskopf, der auf dem Hals einer Schnapsflasche sitzt.

„Ich interessiere mich für die existenziellen Themen des Lebens, Liebe und Tod, Gut und Böse, Mann und Frau. Besonders die Figur des Teufels fasziniert mich in ihrer Zwiespältigkeit: Zum einen personifiziert sie das Böse, zum anderen den gefallenen Engel. Ohne das Böse würde das Gute nicht existieren. Beide brauchen sich, um jeweils sichtbar zu werden“, sagt Balkenhol.

Eine der Skulpturen erinnert an einen Atompilz

Mit diesem Kontextwissen erschließt sich auch, wie die einzelnen Werke miteinander verbunden sind. Im ersten Raum zieht ein großformatiges Holzrelief die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich: Auf grünem Grund prangt darauf ein großer Pilz mit weißer Kappe und rotem Stiel, ein sogenannter Satanspilz in idyllischem Naturambiente, der aber, so eine Besucherin, von Beruf Biologin, zwar nicht todbringend sei bei Verzehr, aber doch giftig.

Ob dies ein Symbol für den Atompilz sein soll, fragt ein langjähriger Freund den Künstler mit Blick auf den durch Putin angezettelten Krieg. Daneben wirkt die Figur des Luzifer, nur mit einem weißen Hemd bekleidet, irritierend unschuldig.

Balkenhol: "Die offene Frage ist das Werk"

Im selben Raum begegnen einem gleich zwei Frau-Mann-Paarungen: Ein Herr in blauem Anzug („Womanizer“) steht neben einer Dame im goldenen Bikini, sie sehen sich nicht an, blicken aber in dieselbe Richtung, was eine eigenartige Spannung erzeugt. Das männliche Antlitz wirkt unbeteiligt, ebenso wie die Gesichter der berühmten Bojenmänner, die auf Alster und Elbe stehen. Warum sie denn nicht einfach fröhlich oder traurig aussehen könnten, sei eine häufige Frage von Leuten, die sich an dieser Undeutbarkeit stoßen. Und damit dem Künstler voll auf den Leim gehen.

„Denn gerade deswegen wird der Raum für Spiegelung und Projektion aufgemacht. Die Figur als Möglichkeitsform“, nennt es Balkenhol, und: „Die offene Frage ist das Werk.“ Außerdem sei es doch langweilig, wenn die Männer immerzu lachen würden. Dabei seien seine Gesichter mit der Zeit viel differenzierter geworden, erzählt er. „Das Ungestüme der jungen Jahre lässt sich eben nicht wiederzurückholen. Ich brauche jetzt wesentlich länger für meine Kunst. Aber dafür hat man auch mehr Erfahrung, auf die man zurückgreifen kann.“

Nach wie vor sei die Bildhauerei für ihn „die Erkundung der Welt“. Wobei länger relativ ist: An dem Pilz-Relief hat der Bildhauer eine Woche lang gearbeitet mit Unterbrechungen, um die verschiedenen Farbschichten trocken zu lassen. Das Holz für seine Kunst – vornehmlich weiche Arten wie Kirsche, Wawa oder Pappel – bezieht er von speziellen Lieferanten. „Aber wenn jemand anruft, dass bei ihm ein Baum umgefallen ist, dann nehme ich den auch.“

Balkenhols Werk "Venus von Kassel"

Mit der „Venus von Kassel“ (2016) bezieht sich Balkenhol nicht nur auf ein kunstgeschichtlich zentrales Thema; er stellt den häufig männlichen Torsi ein weibliches Pendant entgegen. Und schließlich hat der Künstler „seine Venus“, also seine jetzige Partnerin, auch in Kassel kennengelernt. An der ewigen Verlockung durch das Weib wird die große Virtuosität, mit der der Künstler sein Material bearbeitet, sichtbar.

An der Fensterfront antwortet ein Mann mit erigiertem Penis darauf („Eros und Thanatos“) und verweist auf das erotische Spannungsverhältnis zwischen Frau und Mann. Im zweiten Raum hockt ein Rabe auf einem Sockel vor einem Holzrelief mit lauter fliegender Artgenossen darauf – das Tier wurde von Kirchenvätern im Mittelalter mit diabolischen Kräften in Verbindung gebracht und galt sogar als „Galgenvogel“, in einigen Märchen tritt der Teufel in Gestalt eines Raben auf.

Balkenhol: "Ich mag das Unfertige an meinen Werken"

Die Stirnseite des Raumes wird von einem Mann dominiert, der sich ein weißes Handtuch über den Kopf gezogen hat, sein Blick geht stur geradeaus. Ob er friert oder sich vor etwas fürchtet, bleibt unklar. Was aber einer Besucherin auffällt, sind die Holzsplitter an den Beinen des Mannes – „er hätte sich besser rasieren müssen“, lautet ihr Kommentar.

„Bevor ich anfange, das Holz zu bearbeiten, habe ich eine Vorstellung, was daraus werden soll. Das Interessante an meiner Arbeit ist: Wann ist der Zeitpunkt, um damit aufzuhören? Das ist immer wie ein Dialog mit mir selbst. Ich mag das Unfertige an meinen Werken. So hat der Betrachter die Möglichkeit, das Kunstwerk weiterzudenken.“

„Stephan Balkenhol. Teufel noch mal ...!“ 4.11.–10.12., Holger Priess Galerie (S Stadthausbrücke), Admiralitätstraße 71, Do/Fr 14.00–18.30, Sa 12.00–15.00 und nach Vereinbarung, Eintritt frei, www.holgerpriess.com