Hamburg. Die Sound- und Videoinstallation „How to live in the echo of other places“ der Hamburger Künstlerin bespielt den Schuppen 29.
Der erste Eindruck ist visuell. Eine schlichte, ins Schäbige gleitende Lagerhalle im Hamburger Hafen, die schon allein mit ihrer Fläche von 7000 Quadratmetern beeindruckt. Eine Rolltreppe für einen Schiffsanleger ist hier geparkt, Stühle stehen gestapelt aufeinander, an einer Wand dahinter ist ein großes, rotes „Rauchen verboten“ gepinselt. Durch das Wellblechdach tröpfelt es vereinzelt vom Guss der vergangenen Nacht; Pfützen haben sich auf dem rauen Boden gebildet. Ein zweiter Eindruck schiebt sich darüber, er ist auditiv. Lautsprecherboxen, aus denen es mal schallt, mal singt und mal spricht. Und schließlich wird das interessante Paradox dieser Ausstellung deutlich, kommt sie doch so vollständig ohne visuelle Untermalung ihrer klanglichen Installation aus und wird gleichzeitig in ihrer Eindringlichkeit von der imposanten Räumlichkeit getragen.
Es ist das Konzept von Annika Kahrs, sich mit der Vorstellung von Musik in verschiedenen Kulturräumen zu beschäftigen; in Videos, Performances und Installationen untersucht die derzeit wichtigste Hamburger Künstlerin, wie sich Akustik und Sehen zueinander verhalten und wie diese beiden Sinne voneinander abhängen. Ihre jüngste Arbeit „How to live in the echo of other places“ ist nun im Schuppen 29 auf dem Baakenhöft zu erleben.
Bei einem Spaziergang vor rund drei Jahren mit Ellen Blumenstein, Kuratorin von „Imagine the City“, sei die Idee zu einer raumfüllenden Klanginstallation gewachsen. „Ich habe mich damals spontan in diesen Ort verliebt“, sagt die 38-Jährige, die bei der Vorstellung des Projekts betont: „Ich höre hier oft meinen Namen, dabei ist das Werk höchst kollaborativ.“ So wie viele Arbeiten der mehrfach ausgezeichneten Künstlerin, die in Hamburg und Berlin lebt, von der Produzentengalerie Hamburg vertreten wird und in diesem Jahr auf der Biennale für zeitgenössische Kunst in Lyon ausstellen wird.
Am besten lässt man sich intuitiv durch den Raum spülen
Zehn Hamburger Musikerinnen und Musiker, darunter Tintin Patrone und Nika Son, haben im Austausch mit ihr eigene Kompositionen kreiert. Dafür sprachen sie mit Menschen, mit denen sie sich verbunden fühlen, über persönliche Erinnerungsorte. Diese Klang- und Stimmfragmente hat Annika Kahrs zusammen mit dem Komponisten Louis d’Heudières in ein 80-minütiges Konzert im Raum übersetzt, das den Schuppen über zehn dort verteilte Lautsprecher beschallt. Vertraute Geräusche aus der Stadt und vom Hafen sind zu hören, dazwischen mischen sich persönliche Migrationserfahrungen, auch ein Erdbeben ist zu vernehmen.
Anhand einer gelben Karte kann das Publikum sich zwischen den Klanggeschichten orientieren. Zunächst läuft man zwischen den Lautsprechern hin und her in dem Versuch, das Audio nicht zu verlieren, das sich von einer Box zur nächsten bewegt, doch stellt schließlich fest, dass die Installation am besten wirkt, wenn man sich von einer Geräuschinsel zur nächsten spülen lässt und dabei intuitiv innehält. Besonders eindrücklich zeigt sich das intensive Erleben bei dem Projekt der Künstlerinnen Douniah und Derya Yıldırım.
Aus drei Boxen, die zueinander gewandt kreisförmig angeordnet sind, erzählt eine Frau von ihren Erfahrungen als Biopic. „My imagination is the only part of me you can’t colonize“ ist einer ihrer ersten Sätze, einer, der im Kopf bleibt. Die deutsch-marokkanische Musikerin Douniah hat in „Tidal Memory“ Gespräche mit Freundinnen geführt, die in ihrer Heimat Jamaika und in der Diaspora am Wasser gelebt haben. Das Wassermotiv verbindet alle Beiträge – als Metapher für das Unbewusste, Ort der Ruhe und Element, das all unsere Sinne anspricht. Wenn man sich in die Mitte dieses Kreises stellt, taucht man durch diesen ersten Text sowie durch weitere Erzählungen und afroamerikanischen Jazz, Soul und Gnaoua (nordafrikanische indigene Musik) Stück für Stück in die Gefühlswelt und die Erinnerungen der Künstlerinnen und ihren Interviewpartnerinnen ein.
Der Sonnenuntergang als allgemeingültiger Sehnsuchtsort?
Die in Hamburg geborene Künstlerin Derya Yıldırım befragt in „Für mich ist Heimat Zukunft“ Familienmitglieder nach ihren Klangerinnerungen. An welche Geräusche erinnern sich die Eltern aus ihrer Kindheit im türkischen Sivas? Welche Musik hat die Brüder in Hamburg auf der Veddel geprägt? Erinnerungen werden hier als Echo aus der Vergangenheit wahrgenommen und bewusst hervorgeholt. Gemein ist den Interviewten die Erfahrung, niemals angekommen zu sein und ständig daran erinnert zu werden, anders zu sein. Dazu singt und spielt Yıldırım auf der Langhalslaute (Baglama) türkische Volkslieder; sie agieren als Träger der Geschichten und Bindeglied zwischen den Generationen.
Die Soundinstallation wird ergänzt durch eine Videoarbeit, die auf eine 14 Meter breite Leinwand außen am Schuppen 29 projiziert wird. Darin hat die Künstlerin Erinnerungen von Freunden, Kolleginnen und Musikern an besondere Sonnenuntergänge verarbeitet. Diese erscheinen in Textform auf einem namenlosen Sonnenuntergang, der als zweieinhalbstündiger Loop abgespielt wird. Interessant daran die Frage, ob und wie intensive visuelle Eindrücke im Gedächtnis an konkrete Orte gebunden sein können.
„Warum sind insbesondere Sonnenuntergänge aufgeladen mit Erinnerungen und ragen so aus den alltäglichen Erfahrungen heraus? Annika Kahrs gelingt es in dieser Arbeit, gewohnt souverän den Kitsch zu umsegeln und unsere romantische Vorstellung davon aufzubrechen“, sagt Ellen Blumenstein. „Dazu eine Ausstellung, die ganz ohne Bilder auskommt – bezogen auf das Triennale-Thema ,Currency‘ –: Nicht nur Bilder sind eine Währung, auch Klänge sind es.“
Annika Kahrs: Die Klangkünstlerin
„How to live in the echo of other places“ bis 4.9., Schuppen 29 (U HafenCity Universität), Baakenhöft (Ausschilderung folgen), Soundinstallation Do/Fr 17.00–20.00, Sa/So 14.00–20.00; Videoprojektion Do–So von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang, Eintritt frei (Spenden erbeten), www.imaginethecity.de