Hamburg. Die Ausstellung „Nominees“ im Kunsthaus zeigt die Bewerbungen von bildenden Künstlerinnen und Künstlern.

Was ist Kunst? Auseinandersetzung und Kritik, Inspiration und Ermutigung, Schönheit und Zerstörung: Kunst kann und soll vieles sein. Nur eines möglichst nicht: brotlos. Aus diesem Grund vergibt die Stadt nun schon zum 40. Mal zehn Arbeitsstipendien für bildende Künstlerinnen und Künstler mit abgeschlossenem Studium, Wohnsitz und Lebensmittelpunkt in Hamburg.

Ein Jahr lang erhalten die Gewinner 1500 Euro monatlich als Unterstützung. „Ein wichtiges Signal für den Kunststandort Hamburg“, findet Katja Schroeder, künstlerische Leiterin des Kunsthaus Hamburg. „Zumal die Höhe der Zuwendung den Lebenshaltungskosten erst kürzlich angepasst wurde.“

Eine Hamburger Vorauswahljury, die von der Behörde für Kultur und Medien gestellt wird, hat unter rund 200 Bewerbungen 22 „Nominees“ gekürt. Die gleichnamige Ausstellung, die gestern Abend von Kultursenator Carsten Brosda (SPD) im Kunsthaus Hamburg eröffnet wurde, zeigt deren aktuelle Arbeiten.

Konventionelle Rollenbilder als Thema

Viele davon wurden eigens für die Schau und erst vor Ort realisiert. So etwa die temporäre Kunst von Carlos León Zambrano: Der Künstler aus Venezuela verlegte eine Zündschnur entlang der Raumdecke, die am Eröffnungsabend abgebrannt wurde. Damit verknüpft waren Stoffteile, die an Schmugglerware oder Waffen erinnern sollen. Auch diese Exponate wurden verbrannt; die Relikte verbleiben für die Ausstellungsdauer am Boden. „Die Explosion als Spiel mit der Erwartung“, hat Zambrano sein Happening beschrieben.

Was wäre, wenn in Zukunft weder Geschlecht noch Sexualität existierten? In „Planet Middlesex 2111: Future is intersexual“ beschäftigt sich Stefan Mildenberger mit konventionellen Rollenbildern, wie sie etwa im Disney-Film „Cinderella“ propagiert werden (eine Prinzessin, die von einem heldenhaften Prinzen gerettet werden will). Daneben hängen digital bearbeitete Collagen von Bodybuildern und Models, die jeweils weibliche und männliche Geschlechtsmerkmale aufweisen.

Spiel mit Erwartungshaltungen

Das Spielen mit bestimmten Erwartungshaltungen hat auch Shira Lewis zu ihrer Arbeit „Handle With Care“ inspiriert: In „Bananen“-Kisten aus Lindenholz hat die HfbK-Absolventin Haushaltsgegenstände in Zeitungspapier verpackt – nur dass Käsereibe, Schneidebretter und Pfannen aus Ton gebrannt, also bewusst fragil gemacht wurden.

Auf den ersten Blick sind die großformatigen Acrylbilder von Clara Palmberger-Süße nur poppig-bunt, erst beim zweiten Hinschauen scheint die Konsumkritik durch: „Kaufst du immer dasselbe ein, um nicht zu merken, wie es verschwindet“, hinterfragt sie in Kassenbon-Ästhetik unsere Gewohnheiten.

Tintin Patrone bewirbt sich mit der Videoanimation „Blue 3“ um das Arbeitsstipendium 2020.
Tintin Patrone bewirbt sich mit der Videoanimation „Blue 3“ um das Arbeitsstipendium 2020. © Tintin Patrone

Zur Gewohnheit geworden ist es auch, eher gewöhnliche Fotos und ein paar hingeworfene Sätze zu einer Insta­gram-Story aufzublasen. In Apple-Ästhetik ließ Paul Spengemann seine Notizen, die er auf Reisen nach Antwerpen, Tel Aviv und Los Angeles machte, von einem Laser ans gegenüberliegende City-Hochhaus projizieren. In der Ausstellung wird die Installation wiederum auf einem iPhone abgespielt.

Exklusiv für Leser

  • Die Ausstellung „Nominees“ ist bis zum 12. Januar 2020 im Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15 (U Steinstraße), zu sehen. Öffnungszeiten Di-So 11.00-18.00, Eintritt 5,-/3,- (ermäßigt). Rundgänge: 15.12, 15.00 und 9.1., 18.00.
  • Das Abendblatt veranstaltet am 9. Dezember ab 11 Uhr einen besonderen Vormittag für Leser im Kunsthaus: „Nominees“-Kuratorin Anna Nowak nimmt die Teilnehmer mit auf eine spannende Reise durch Hamburgs zeitgenössische Kunstszene. Anschließend kann bei Tee, Kaffee und Croissants über die Werke diskutiert werden.
  • Karten sind zu 25 Euro in der Abendblatt-Geschäftsstelle erhältlich. Großer Burstah 18-32, Mo-Fr 9.00-19.00, Sa 10.00-16.00, T. 040/30 30 98 98, www.abendblatt.de/leserevents

Während Spengemann schon eine Rolle im Kunstbetrieb spielt und von der hiesigen Produzentengalerie vertreten wird, ist es für die meisten Teilnehmer die erste öffentliche Präsentation. Und das Publikum? Bekommt einen guten Überblick, was in Hamburg in Sachen junger Kunst so läuft. „Wir haben in diesem Nominees-Jahrgang eine Vielzahl zeichnerischer, aber auch installativer Arbeiten“, fasst Katja Schroeder zusammen.

„Fast alle eint eine gesellschaftskritische Haltung.“ Kein Wunder angesichts weltweiter Krisen, Klimakollaps, Fake News. Kritisch zu sein, das ist dieser Künstlergeneration quasi in die DNA eingeschrieben. Utz Biesemann, der sich mit gesellschaftlichen Machtstrukturen auseinandersetzt, bestätigt: „Jede Arbeit ist politisch.“ Die zehn vielversprechendsten werden im Januar feststehen.