Hamburg. Das Phoxxi zeigt, wie junge Fotografen durch ihre Linsen auf Krieg, Musterhäuser oder Röntgenbilder blicken – und KI mit Kunst verbinden.

Junge deutsche Fotokunst im Double Feature gibt es von Sonnabend, 1. Juli, an im Phoxxi Haus der Photographie temporär der Deichtorhallen Hamburg zu betrachten. Der Wettbewerb Gute Aussichten“ zeigt in seinem 19. Jahr inhaltsstarke Werke von 14 Preisträgerinnen und Preisträgern deutscher Hochschulen aus zwei Jahrgängen, acht davon aus 2020/21 und sechs aus 2022/23.

Dabei handelt es sich nicht um eine Gruppenausstellung, betont Ingo Taubhorn, Kurator am Haus der Photographie. Stattdessen finden sich 14 ganz einzigartige Positionen, die eine Jury dafür erwählt hat, auf dem engen Phoxxi-Raum. An jeder Ecke und an jedem Ende kann und sollen sich Betrachter in eine neue fotografische Welt hineindenken, einen Blick durch ein weiteres junges Augenpaar erhaschen.

Museum Hamburg: „Gute Aussichten“ bis Ende September im Phoxxi der Deichtorhallen

Inhaltlich und formal sind die Arbeiten so vielfältig wie die Preisträgerinnen und Preisträger selbst. KI und Tradition, Krieg und Musterhausparks, Internet-Memes, das Aufwachsen im ländlich-ärmlichen Irland oder die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit – die Spannbreite der Themenfelder ist so weit, wie die Linse reicht und die Möglichkeiten des Digitalen es heute zulassen.

Einen wachen, offenen Blick beweisen die Fotokünstler jedoch nicht nur bei der Motivwahl. Auch die kuratorische Umsetzung reicht teils weit über eine bloße Hängung hinaus. Komplexe filmische, installative und narrative Formen der Präsentation haben die Fotografen für ihre Ausstellung im Phoxxi gewählt.

Allegra Kortlang zeigt in ihrer Video-Installation „AI Odyssey“, wie sich die allgegenwärtige Gesichtserkennung und -verfolgung ganz analog überlisten lässt.
Allegra Kortlang zeigt in ihrer Video-Installation „AI Odyssey“, wie sich die allgegenwärtige Gesichtserkennung und -verfolgung ganz analog überlisten lässt. © Allegra Kortlang

Allegra Kortlang etwa, die sich in „AI Odyssey“ mithilfe von KI dem Themenfeld Überwachung und Gesichtserkennung widmet, goss ihre Imagination in surreale Masken, die unheimlich von der Decke baumeln. Dazu läuft in Anlehnung an Stanley Kubricks Meisterwerk „2001 – Odyssee im Weltraum“ dessen zentrales „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss – einen Film gibt es obendrauf. Immersion statt „flache“ Bilder.

Auch ein Hamburger unter den „Gute Aussichten“-Preisträgern

Ebenfalls unter Zuhilfenahme von KI hat Alexander Kadow von der Hochschule für bildende Künste Hamburg in „The Individual Below“ gearbeitet. Mehrere Hundert Röntgenaufnahmen – Quelle: „Haushaltsauflösungen und so“ – hat er an eine künstliche Intelligenz verfüttert, die im Anschluss fiktive, selbst errechnete Röntgenbilder ausspucken konnte.

Jene Fälschungen kombinierte er collagenartig mit echten Scans. Heraus kamen schwarz-weiße, abstrakte Formenwelten mit komplexen Strukturen. Denn wo die KI-Bilder in der Vergrößerung einzelne Pixel erkennen lassen, zeigt sich in den Fotografien eine klassische Körnung.

Alexander Kadow von der Hochschule für bildende Künste Hamburg hat in „Zusammenarbeit“ mit KI abstraktpoetische Schwarz-Weiß-Kompositionen aus Röntgenfilmen kreiert.
Alexander Kadow von der Hochschule für bildende Künste Hamburg hat in „Zusammenarbeit“ mit KI abstraktpoetische Schwarz-Weiß-Kompositionen aus Röntgenfilmen kreiert. © Alexander Kadow

Bedrückende Fotografien aus polnischen Militärcamps für Kinder

Nur wenige Meter weiter treffen sich Wissenschaft und Kunst in 18 Diptychen, die die technische Komponente der Fotografie ausloten und gestalterisch in Szene setzen. Der Erstellungsprozess, nachzuvollziehen per QR-Code, ist hier vielmehr Teil des Werks als Notwendigkeit.

Gänzlich analog hat sich Natalia Kepesz in „Niewybuch (Blindgänger)“ ihrem Herkunftsland gewidmet. Ihre eindrücklichen Aufnahmen aus polnischen Militär-Feriencamps zeigen Kinder an Waffen, Jungen mit Gasmasken, blutende „Opfer“ im propagandistischen Kriegsspiel. Seit Einführung der PiS-Partei 2005 hätten die Camps, die viele junge Polen als Abenteuerurlaub begreifen, einen massiven Aufschwung genommen, sagt Kepesz.

Museum Hamburg: Fotografie-Wettbewerb „Gute Aussichten“ feiert Jubiläum

„Gute Aussichten“ sei wie immer – nämlich „wie immer anders“, meint Wettbewerbsgründerin Josefine Raab angesichts der Ausstellung. Was außerdem in diesem wie in jedem Jahr gleichgeblieben ist: „Hinter jeder Arbeit verbirgt sich eine theoretische Auseinandersetzung.“

„Er-füllt und ge-füllt“, verlassen Phoxxi-Besucher die Ausstellung demnach, bringt es Kurator Ingo Taubhorn auf den Punkt. Denn von der selbst gebauten Lochkamera bis zur Bildgenerierung per Algorithmus bleibt hier kaum ein fotografischer Kniff ausgespart.

Vorfreude auf die kommende Ausgabe der „Guten Aussichten“ kann Raab im Übrigen auch schon machen. Denn in der 20., also Jubiläums-Edition, soll das neue Format „Fokus Mexiko Deutschland“ Teil des Wettbewerbs werden.

„Gute Aussichten“ 1.7. bis 24.9., Phoxxi (U Meßberg), Deichtorstraße 1– 2, Di– So 11.00–18.00, jeden 1. Do im Monat 11.00–21.00, Eintritt 8,-/5,- (erm.), www.deichtorhallen.de