Hamburg. Die Ausstellung „Keine Illusionen“ in der Galerie der Gegenwart zeigt außergewöhnliche Positionen von 1977 bis heute.

Es ist die schiere Begeisterung für Kunst und ihre Produzenten, die aus Kunsthallen-Direktor Alexander Klar spricht, als er seine neue Ausstellung zusammen mit Kollegin Ifee Tack präsentiert. Doch: „Kleine Illusionen“ ist mehr als eine Ausstellung; es ist ein Raumerlebnis Das liegt an den überwiegend großformatigen Werken und ihrer außergewöhnlichen Präsentation im ersten Stock der Galerie der Gegenwart.

So bekommt die Künstlerin Cornelia Baltes (Jahrgang 1978) für ihre an Comics erinnernden und die Wände mit einbeziehenden Großarbeiten eine komplette Front, die zur Alster zeigt. Durch die knalligen, fluoreszierenden Farben, die Baltes in ihrem Berliner Alchemielabor selbst anmischt, sind ihre Bilder mit Charakternamen wie „Jag“ und „Mina“ auch gut von außen zu sehen, vor allem im Dunkeln.

Neun zeitgenössische Positionen haben Klar und Tack nach Atelierbesuchen und Instagram-Recherche zusammengetragen, angefangen beim Geesthachter Maler Rolf Rose, Jahrgang 1933, über Ingo Meller, Helga Schmidhuber und Dominik Halmer bis zu den 1980 geborenen Künstlerinnen Dana Greiner, Sabrina Haunsperg und Franziska Reinbothe. Die Werkauswahl erfolgte laut Direktor in einem „agitatorischen Prozess“.

Technik ist wichtiger denn je und wird wieder mehr gelehrt

Präsentiert wird Malerei, die den Raum ausreizt, über ihre Grenzen hinausgeht, sich von der abbildenden Funktion komplett löst, nichts aussagt, sondern die Botschaft selbst ist. Und so erzählt dann etwa das 1,70 mal 2,50 Meter große senfgelbe Ölgemälde „Ohne Titel“ (1993) von Rose vor allem von seinem Entstehungsprozess, macht Schichten, Strukturen und Schattierungen sichtbar, die auf den ersten Blick kaum wahrzunehmen sind. Denn Technik ist wichtiger denn je und wird nach jahrzehntelanger Schmähung auch wieder verstärkt an den Hochschulen gelehrt.

Rolf Rose: „Ohne Titel“, 1993, Öl auf Holz, 170,4 x 250,1 cm.
Rolf Rose: „Ohne Titel“, 1993, Öl auf Holz, 170,4 x 250,1 cm. © © Rolf Rose Foto: Christoph Irrgang | Christoph Irrgang,Hamburg

Das wird spätestens bei der 1976 in Saarbrücken geborenen Deutsch-Iranerin Shila Khatami spürbar. Ihr Ansatz: unter Verwendung von Industriematerialien wie gestanzten Aluminiumblechen, Großflächenwalzen und Hasenleim aus dem Malereibedarf einen „größtmöglichen Abstand zum ursprünglichen Formenvokabular von Kunst“ herzustellen.

Sie bestreitet mit ihren raum- und wandfüllenden Installationen die größte Fläche der Ausstellung. Zentral ist ihre Arbeit „Sunset-Target“ (2015), die aus einer gelöcherten Hartfaserplatte, bemalt mit weißem und schwarzem Industrypainter und mit Lack bearbeitet, besteht: Darin vereint Khatami die beiden sehr starken, assoziativen Motive des Sonnenuntergangs und der Zielscheibe.

Für Klar ist Malerei „revolutionär“, die immersives Erleben schafft

So wird auf das Verhältnis von Fläche und Linie, auf den Gegensatz von Struktur versus Non-Struktur gesetzt, das Technoide verschwindet zugunsten des sich optisch zusammensetzenden Bildmotivs. Durch den über Eck gestalteten Fluchtpunkt erhält das Werk an sich etwas Objekthaftes. Klar macht es deutlich, indem er sich in das Bild stellt. „Das finde ich schon fast revolutionär: dass Malerei ein immersives Erleben schafft!“

Inspiriert wird die Künstlerin durch Konstruktivismus und Bauhaus. Sie stellt sich stets die Frage, wo Kunst im Alltag auftaucht: „Mich interessieren kunstferne Kontexte“, sagt Khatami und verweist auf ihre an Wand und Boden angebrachte Arbeit „Need for Speed“ von 2015, die an die Zielflagge bei Formel-1-Rennen erinnert und abhängig von der Distanz der Betrachtenden ihre Wirkung variiert.

Das Highlight aber ist ein in Silber-Gold getauchter Raum, den Khatami eigens für die Ausstellung entworfen und sich damit einen Traum erfüllt hat: In „Tränen-Blech“ (2023, Epoxidharz auf Aluminium) werden Betrachter Teil der Installation und verändern sie durch gespiegelte Bewegungen, indem sie auf Straßenmarkierungen gleichen Farbstreifen einem Fluchtpunkt zusteuern.

„Keine Illusionen. Malerei im Raum“ bis 31.10., Galerie der Gegenwart (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 16,-/8,- (erm.), www.hamburger-kunsthalle.de