Hamburg. Zum Start der Gastprofessur zweier ruangrupa-Mitglieder an der HfbK gab es Antisemitismus-Vorwürfe. Was sich seitdem verändert hat.

An diesem Wochenende enden die Gastprofessuren der ruangrupa-Künstler Reza Afisina und Iswanto Hartono an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Die Kuratoren der documenta fifteen wurden für den Antisemitismus-Skandal verantwortlich gemacht. Ihre Berufung im Herbst 2022 hatte Proteste, vor allem von der Jüdischen Gemeinde, ausgelöst. Präsident Martin Köttering zieht Bilanz.

Was hat die Hochschule, was haben die Studierenden aus dieser Zeit mitgenommen?

Martin Köttering: Da gibt es zwei Ebenen: Es hat eine sehr produktive Auseinandersetzung mit dem künstlerisch-kuratorischen Konzept der documenta fifteen stattgefunden, die von den beiden als Mitgliedern der Gruppe ruangrupa vertreten wurde: soziale Produktionsprozesse, Solidarität, Kollektivität. Daraus ist der Living Room entstanden, in dem bis zu 40 Studierende gemeinsam gearbeitet haben. Den werden wir auch bei der Graduate Show am Wochenende präsentieren. Zum anderen ist durch die beiden DAAD-Gastprofessoren das Thema Antisemitismus im Kunstfeld nach Hamburg getragen worden, worauf wir mit vielen Veranstaltungen reagiert haben, vor allem mit dem Symposium. Damit ist es uns seit der documenta erstmalig gelungen, sehr divergente Positionen zusammen und in einen Dialog zu bringen.

Martin Köttering: „Ich hatte und habe blinde Flecken“

Wie ist es den beiden Künstlern während ihres Aufenthalts in Hamburg ergangen?

Am Anfang waren sie so voller Hoffnung und vollen Mutes, sowohl die Zukunft betreffende Themen als auch die des Antisemitismus in einem Schutzraum der Universität mit Kolleginnen und Kollegen und mit Studierenden und Künstlern aufarbeiten zu können. Und dann waren sie tief erschrocken über diese lauten Proteste bei der Eröffnung des akademischen Jahres, was rückblickend für sie sehr schwierig war. Sie fühlten sich missverstanden. Aber durch die vielen Gespräche sowohl mit Politik und Behörde, mit der Hamburger Öffentlichkeit, aber ganz besonders natürlich mit den Kolleginnen und Kollegen der HfbK, haben die Möglichkeiten der Verständigung zugenommen. Reza Afisina und Iswanto Hartono haben aus ihrer Zeit in Hamburg viel gelernt. Auch über Antisemitismus. Sie haben betont, dass sie sich mit diesen Fragen jetzt noch intensiver auseinandergesetzt haben.

HfbK vertieft Kooperation mit der Universität Haifa in Israel

Was, würden Sie sagen, hat sich in Hamburg seitdem verändert?

Ich habe verstanden, dass die Berufung der beiden Gastprofessoren Verletzungen, vor allem bei Mitgliedern der Jüdischen Gemeinden, hervorgerufen hat. Was ich wirklich sehr bedauere. Und ich bin den Vertretern und Vertreterinnen der Jüdischen Gemeinde sehr dankbar, die mit mir einen Dialog begonnen haben. Auch ich habe viel gelernt und muss selbstkritisch eingestehen, dass ich bei dem Thema blinde Flecken hatte oder habe. Das ist mir vor allem durch die Gespräche mit Sonja Lahnstein-Kandel bewusst geworden, der Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Förderkreis der Universität Haifa in Israel. Für die Zukunft haben wir eine vertiefende Kooperation mit der Hochschule beschlossen, die einen regelmäßigen und lebendigen Austausch von Professoren und Studierenden vorsieht.

Sie wurden im Zuge der Ernennung persönlich stark angefeindet, es gab Proteste vor Ihrer Hochschule, auch politisch bekamen Sie Gegenwind – trotzdem: Würden Sie diese Entscheidung genauso wieder treffen?

Das kann ich wirklich mit aller Deutlichkeit und sehr klar sagen: Ja, unbedingt! Denn es ist die Aufgabe und Pflicht von wissenschaftlichen Institutionen, sich diesen komplexen und schwierigen Diskursen zu stellen, um Lernprozesse entstehen zu lassen. Das ist im großen Umfang gelungen. Aber, und dieses Aber ist tatsächlich auch ein großgeschriebenes Aber, ich möchte auch nicht den Eindruck erwecken, als sei jetzt alles gut. Vielmehr hat dieser Prozess deutlich gemacht, wo es Differenzen gibt, die nicht leicht überwunden werden können und wo man vielleicht auch Differenzen aushalten muss. Deswegen kann dieses vergangene Jahr an der HfbK letztlich nur ein Anstoß sein, um an den Themen dranzubleiben.