Hamburg. Katharina Fegebank hält eine emotionale Rede zur Eröffnung der „Kontroverse documenta fifteen“ an der Hochschule für bildende Künste.
Die Aula der Hochschule für bildende Künste war am Dienstagabend prall gefüllt, als Katharina Fegebank (Grüne) das Podium betrat und sichtlich bewegt ihren Impulsvortrag begann: „Jetzt reden wir. Und das ist gut.“
Seit die ruangrupa-Künstler Reza Afisina und Iswanto Hartono als DAAD-Gastprofessoren an der Hochschule sind, habe sie mit dem Präsidenten Martin Köttering viel geredet und gestritten. „Aber am Ende waren wir der Meinung, dass der Dialog der Weg ist.“
Hochschule der bildenden Künste: Auf Antisemitismus in der Kunst eingehen
Sie bedankte sich ausdrücklich bei ihm für seinen immensen Einsatz, der nun im Symposium „Kontroverse documenta fifteen“ mündet. Das zweitägige Zusammentreffen von Fachleuten aus unterschiedlichsten Bereichen will die Ereignisse der vergangenen Weltkunstschau aufarbeiten und konkret auf Antisemitismus im Kunstfeld eingehen.
Dies sei „kein einfacher Termin“, so die Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin. Sowohl als Bürgerin, die stets „klare Kante gegen Antisemitismus“ gezeigt habe, als auch als Politikerin.
Katharina Fegebank verurteilt das Zeigen von antisemitischer Kunst
Denn mit dem ruangrupa-Engagement habe sich „ein vermeintlich unauflösbares Spannungsfeld“ aufgetan, zwischen der Forderung, sie müsse sofort etwas dagegen unternehmen bis hin zur Verteidigung der Kunstfreiheit als höchstem Gut. „Der kuratorische Ansatz von ruangrupa hat dazu geführt, dass antisemitische Bilder gezeigt werden. Dies verurteile ich zutiefst“, sagte Fegebank. „Aber sie haben ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden. Die documenta hat es nicht geschafft, sich dieser Diskussion zu stellen.“
Als Land, das Millionen Jüdinnen und Juden ermordet habe, stehe man aber in einer besonderen Verpflichtung, „Antisemitismus klar zu benennen und die Strukturen zu bekämpfen, die Antisemitismus ermöglichen“.
ruangrupa hat an die solidarische Gesellschaft appelliert
Es gehe darum, Grenzen zu setzen und zu verteidigen, nicht auszuhandeln. „Das kann nicht nur Aufgabe der Politik sein, sondern der gesamten Gesellschaft.“ Entschuldigungen könnten nicht das Ende einer Diskussion sein, „vielmehr muss man sich fragen: Was lernen wir daraus?“. Die Senatorin rief dazu auf, „laut zu sein und Widerspruch zu üben“. Das Symposium sei dafür ein wichtiger Bestandteil, „daher habe ich es von Anfang an unterstützt“.
„Uns ist klar, dass wir an diesen beiden Tagen eine heikle Gratwanderung unternehmen“, sagte Martin Köttering in seiner Begrüßung. „Denn alles, was hier gesagt wird, könnte als Relativierung von Antisemitismus verstanden werden. Doch wie können wir uns sonst über das, was wir auf der documenta fifteen gesehen und erlebt haben, miteinander verständigen?“.
Vortrag eines Soziologie-Professors aus Tel Aviv
Schließlich hätte das ruangrupa-Kollektiv Künstlerinnen und Künstlern auch den Raum dafür gegeben, „um wichtige Fragen an die Gesellschaft zu stellen und an die solidarische Gesellschaft zu appellieren“. Die fast als Fegebank-Replik zu lesende Äußerung wurde mit großen Beifall bedacht. Um zu „einer sachlichen Analyse“ zu kommen, müsse man „Einordnungen, auch wenn sie gegenläufig sind, erlauben und ertragen“.
Dies leitete nahtlos über in den Vortrag von Nathan Sznaider, seit Kurzem emeritierter Professor für Soziologie am Academic College of Tel Aviv-Yaffo. Sein Thema: „Ambiguitätstoleranz auf dem Prüfstand. documenta fifteen und die jüdische Frage“. Ambiguitätstoleranz meint die Fähigkeit, Vieldeutigkeit und Unsicherheit zur Kenntnis zu nehmen und ertragen zu können. Übertragen auf die documenta fifteen habe man erlebt, was passiert, wenn diese für demokratische Systeme unabdingbare Fähigkeit fehlt.
Vorwurf: Künstler wollten sich nicht mit der Vergangenheit beschäftigen
In der Öffentlichkeit habe es die Erwartung nach „Gleichheit und Überwindung von Traumata“ gegeben, so Sznaider. „Aber ruangrupas Anliegen und auch das der meisten dort gezeigten Künstlerinnen und Künstler war es nicht, sich mit der deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen – weswegen sie sich in Folge mit der Israelkritik konfrontiert sahen.“
Die documenta fifteen habe ganz bewusst Kunst politisch-aktivistisch angehen und der autonomen Kunst eine Absage erteilen wollen. „Das Problem war nur, dass sie dies nie konkret formuliert hat.“ Die Frage sei, ob Kunst eine eigene Sprache habe oder ob man für sie sprechen müsse. Sznaider betonte, dass die ruangrupa-Mitglieder „keine Bildkompetenz“ besäßen, die Ausstellung als „Happening“ begriffen hätten. „Die Kunst hat die Freiheit, das Denken aufzubrechen. Aber die Kunst muss sich auch verantworten, politisch wie gesellschaftlich.“
Kuratorium soll künftig auch ein Medienkonzept vorlegen
Die anschließende Podiumsdiskussion zum Thema „Antisemitismus im Kunstfeld. Perspektiven auf die documenta“ stellte die Fragen: Wann kippte die zunächst positive, aufgeschlossene Stimmung kontra documenta fifteen und deren Kuratorenkollektiv? Wie konnte es dazu kommen, dass aus ihr eine „documenta der Schande“ („Bild“) wurde und dem Globalen Süden pauschal Antisemitismus unterstellt wurde?
Auf die Frage von Moderator Carsten Probst, ob es antisemitische Kontinuitäten in der Geschichte der documenta gäbe, antwortete die Kunsthistorikerin Julia Voss, die am Deutschen Historischen Museum in Berlin arbeitet, dass sich die „Organisationsstrukturen gewandelt“ hätten, dass „der Charme der documenta ist, dass sie immer wieder neu starten kann. Aber warum sollte ausgerechnet der Kunstbetrieb anders gestrickt sein als der Rest der Gesellschaft?“.
Kritik an Israel sei überproportional verbreitet
Daran knüpfte Oliver Marchart direkt an. „Israelkritik und -protest sind überproportional verbreitet“, sagte der Professor für Politische Theorie in Wien. Maßgeblich werde dies befeuert durch die transnationale politische Kampagne BDS (Boycott, Divestment, Sanctions), die den Staat Israel wirtschaftlich, politisch und kulturell isolieren will.
Die ruangrupa-Künstler hätten sich weder eindeutig dazu bekannt noch dagegen ausgesprochen, kritisierte Marchart. Ihre Reaktion auf den Vorwurf, sie seien Antisemiten, war „ein Rückvorwurf, die Kritiker seien Rassisten“. Diese „falsch verstandene Binnensolidarität des Kollektivs und der meisten teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler“ habe zum Scheitern der documenta geführt – und das, obwohl Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Kassel bis zum Ende an der Freundschaft und Gemeinsamkeit mit den Kuratoren festgehalten hätten.
documenta braucht ein Medienkonzept um neuen Skandal zu verhindern
Da auf dem Wege der „offenen Briefe“ so viel missverstanden worden sei, sprach sich der Wissenschaftler im Hinblick auf die nächste documenta für ein „einjähriges Moratorium für offene Briefe“ aus. Julia Voss bezeichnete die documenta als „Medienmaschine“; das kommende Kuratorium müsse daher nicht nur ein künstlerisches, sondern auch unbedingt ein Medienkonzept vorlegen.
Wie man mit der „kampagnenträchtigen Debattenkultur“ durch die documenta fifteen künftig umgehen soll, fragte der Moderator am Schluss Meron Mendel, Professor für Soziale Arbeit und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main. Dieser forderte von allen Beteiligten: „Wir müssen eine gemeinsame Sprache finden.“ Ob es gelingt?
Am Donnerstag bei der ersten Symposiums-Veranstaltung Reza Afisina von ruangrupa und Hestu A. Nugroho von Taring Padi – jenes Künstlerkollektiv, das das höchst umstrittene Banner „People’s Justice“ verantwortet. Es geht, zum ersten Mal öffentlich, um die documenta fifteen aus indonesischer Perspektive.