Hamburg. Für Staatsoper und Philharmoniker steht 2025 ein Stabwechsel an. Das Profil für die Neubesetzung des Postens ist nicht ohne.

Zu den beliebtesten Spielchen der Klassik-Branche gehört das Hin- und Herrücken von Namen auf dem Verschiebe-Bahnhof der Chefposten, sobald irgendwo jemand oder etwas frei wird. Offiziell klar ist seit einigen Tagen: Die Staatsoper Hamburg braucht einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für ihren Generalmusikdirektor Kent Nagano. Nicht jetzt sofort, sondern ab 2025, dann endet dort dessen zehnjährige Amtszeit.

Staastoper Hamburg sucht Nachfolger für Kent Nagano

Auf die eine oder andere Weise soll Nagano dem Orchester erhalten bleiben, hieß es kürzlich, nachdem dieser Würfel gefallen war. Ein honoriger Elder-Statesman-Titel zum Abschied ließe sich für den dann 73-Jährigen sicher schnell formulieren, hin und wieder ein Wiedersehens-Gastdirigat, der alten Zeiten wegen, sollte nicht unmöglich sein.

Die Suche nach dem oder der Neuen läuft aber jetzt, wahrscheinlich auf Hochtouren. Bei den jahrelangen Planungsvorläufen in der Branche muss man sich bereits beeilen. Wer begehrt ist, ist es weltweit und kann Bedingungen diktieren.

Das Profil für die Neubesetzung dieses Postens ist nicht ohne. Geht die Kulturbehörde bei der Suche bewusst ins Risiko und setzt auf einen (noch) unbekannteren Namen, wie damals bei der Entscheidung für Ingo Metzmacher, der sich und das Haus weithin wahrnehmbar entwickelte und forderte? Der sich Ecken und Kanten zulegte und am Ende deutlich profilierter war?

Oder doch lieber eine sichere Nummer, auch als Gegengewicht im chronischen Prestige-Armdrücken mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester, das als Residenz-Truppe des Konzerthauses dort mehr zu sagen und zu spielen hat als das deutlich ältere und traditionsreichere Philharmonische Staatsorchester?

Setzt die Staatsoper auf einen (noch) unbekannteren Namen?

Braucht es einen glamourösen Pult-Star, von ganz weit oben aus der internationalen Namens-Liste eingeflogen, um für die Staatsoper den Abschied von John Neumeier auszugleichen? Und käme jemand aus dieser Liga, würde ihn oder sie die Herausforderung reizen, dieses Hamburger Orchester weiter nach oben zu trainieren?

Noch grundsätzlicher gefragt: Braucht es dieses Schielen auf Stars überhaupt noch, die sich dieses streng abgesteckte Interesse – soundsoviel Wochen Anwesenheit pro Saison, mehr ganz bestimmt nicht, bei aller Liebe... – in aller Regel auch noch fürstlich bezahlen lassen?

Jenen Publikumsschichten, die man ansprechen will und muss, um die Publikumsreihen aufzufrischen und aufzumischen, könnte es womöglich sehr egal sein, wer wann wo wie sehr geglänzt hat. Wichtiger, lockender wäre für diese Kundschaft einzig und allein: auf’m Platz. Der Erfolgsdruck ist ohnehin vorhanden. Und er ist ein chronisches Thema.

Nächster Krisenherd: Verstehen sich Generalmusikdirektor und Intendant im Arbeitsalltag nicht wie erhofft, kann es schnell grundsätzlich schwierig werden. Simone Young war beides in Personalunion, auch das war eines ihrer Probleme. Nun, da klar ist, dass die nächste Führungskraft in der Staatsopern-Intendanz auf eine neue Person in der Orchester-Leitung treffen wird, werden sich wahrscheinlich zwei Neue aufeinander und auf ihre Team-Arbeit einzustellen haben.

Wer wird der Nachfolger für Kent Nagano?

Einer könnte der gerade gerüchteweise genannte Regisseur Tobias Kratzer sein. Ohne hauseigene Kostenstelle, aber sicher nicht ganz unwichtig in dieser Gruppendynamik: Der Kultur-Förderer und neuerdings auch Opernneubau-Forderer Klaus Michael Kühne, der wild entschlossen scheint, der Hansestadt in seinem Namen und mit seinem Geld zu einem zweiten Opernhaus verhelfen zu wollen. Und sich zu einem teuren Denkmal.

In den vergangenen Jahren hat das Opernhaus an der Dammtorstraße, ähnlich wie die beiden hiesigen Fußballvereine, immer wieder Auf- und Abstiegskurven erlebt. Champions League, internationaler Vergleich, neidvolle Blicke aus aller Welt auf den Hamburger Spielplan, seine vielen Stars oder die herausragenden Regie-Arbeiten? Eher nicht, freundlich ausgedrückt. Stattdessen: oftmals gediegene Oberklasse, weiteres Zehren vom Liebermann-Ruhm schon weit zurückliegender Jahrzehnte.

Delnon ist ein freundlicher Schweizer, so wie Rolf Liebermann es war, ein vergleichbar prägender Intendant oder Regisseur war er nicht. Diese Zeiten sind vorbei. Die Inszenierung, für die größere Mengen der Weltpresse nach Hamburg reisten, um zu jubilieren, wie zuletzt 1997 bei der Uraufführung von Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“? Verdammt lang her.

Aus den Abo-Konzerten der Philharmoniker in dieser Saison wird sich wohl keine Kandidaten-Liste herausorakeln lassen. Interessanter in dieser Hinsicht könnte die nächste Spielzeit werden: Wer auch immer dort eine gute Figur abgibt, könnte (falls noch niemand gekürt sein sollte) als Bewerber oder Bewerberin angesehen werden. Jedes dieser Konzerte wäre eine Visitenkarte für die Nachfolge-Fahnder. Die meisten der Termine bis ins Jahr 2023 dirigiert Nagano, ein Programm leitet der Ex-Intendant Peter Ruzicka.

Vier Dirigentinnen kommen jetzt ganz schnell in den Sinn

Ab diesem Absatz verlassen wir endgültig den Boden der Tatsachen. Würde strikt paritätisch gesucht, wäre nach Nagano, der nach Simone Young kam, wieder eine Frau dran. Vier Namen kommen schnell in den Sinn: Allen anderen voran die junge, überall heiß gehandelte Litauerin Mirga Gražinytė-Tyla. Theoretisch frei wäre sie. Sie hat sich im vergangenen Jahr freiwillig von ihrem Chefinnen-Posten beim CBSO in Birmingham verabschiedet, weil sie mehr Freiheit und mehr Familienleben möchte.

Ihr Familienleben ist auch Joana Mallwitz wichtig, die noch GMD in Nürnberg ist – sie allerdings hat einen neuen Job sehr nah vor sich: im Berliner Konzerthaus, als Nachfolgerin des Ex-NDR-Chefdirigenten Christoph Eschenbach. Das mit Spannung erwartete Debüt bei den Philharmonikern und in der Elbphilharmonie hatte sie gerade krankheitsbedingt absagen müssen. So schnell wird sich wohl kein Nachholtermin für diese Chance auf einen ersten leibhaftigen Proben- und Konzert-Eindruck finden lassen.

Oksana Linyv dirigierte bei den Bayreuther Festspielen

Die Ukrainerin Oksana Linyv ist ebenfalls eine Frau, die in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit erhielt. Die ehemalige Assistentin von Kirill Petrenko in München, bevor der zu den Berliner Philharmonikern wechselte, war 2021 mit einem „Fliegenden Holländer“ die erste Dirigentin bei den Bayreuther Festspielen und ist seit 2022 Chefin an der Oper von Bologna.

Und dann wäre da womöglich noch Karina Canellakis zu bedenken, momentan fest beim niederländischen Radio Filharmonie Orkest. Aus New York stammend und Geige spielend, wie einer ihrer Mentoren, der NDR-Chefdirigent Alan Gilbert. Was für das Hamburger Musikleben eine sicher spannungsreiche Konstellation wäre.

Wird einer dieser Pult-Größen den Weg nach Hamburg suchen und finden?

Gäbe es Wett-Quoten für Außenseiter, wären drei Herren Garanten für satte Gewinne, weil durch und durch unwahrscheinlich erscheint, dass eine dieser Pult-Größen den Weg nach Hamburg sucht und findet. Jemand, den weltweit alle und auch für Oper haben möchten, ist der Finne Esa-Pekka Salonen. Beim NDR und in der Elbphilharmonie ist er hin und wieder zu Gast. Er hat aber gerade, nach langem Überlegen über seine nächste Unterschrift, beim San Francisco Symphony Orchestra die Nachfolge von Michael Tilson Thomas angetreten.

Der nächste: Thomas Hengelbrock. Beim NDR Elbphilharmonie Orchester nicht harmonisch vorzeitig gegangen, hat er seitdem mit eigenen Ensembles und als Gast-Dirigent das internationale Renommee als Operndirigent für knifflige Stücke weiter ausgebaut. Schön für ihn, aber sicher kein Grund, sich für einen neuen Posten ausgerechnet in Hamburg zu entscheiden, als direktes Gegenüber zu seinem Ex-Orchester und seinem Nachfolger.

Auch auf Christian Thielemann braucht man wohl nicht zu warten oder zu hoffen. Seine Chef-Tätigkeiten endeten bislang oft mit Theaterkrächen. Er gilt als sehr toll, für manches, aber auch als sehr schwierig. Zuletzt hat es in Dresden und in Bayreuth gerappelt. In Berlin hat er sich als Premium-Einspringer für den erkrankten Daniel Barenboim bei dessen „Ring“ an der Lindenoper viele neue Freunde gemacht. Dort braucht man dringend den nächsten Charismatiker mit großem Ego, und Thielemann hätte sicher nichts dagegen, sich für diese Stelle bitten zu lassen.

Ob einer der nächsten fünf Männer Chancen hat oder haben möchte?

Ob einer der nächsten fünf Männer Chancen hat oder haben möchte? Unklar. Ihre Lebensläufe geben jedenfalls einiges her. Der Brite Daniel Harding hat sich 2019 vom Orchestre de Paris verabschiedet und ist seitdem viel freischaffend unterwegs, andererseits aber auch als Pilot für Air France. Fest an einem Opernhaus war er bislang noch nicht, ebenso wenig wie sein vermeintlicher Intendanten-Kollege Kratzer. Würde, nur so gesehen, also passen können.

Cornelius Meister hingegen ist gerade Generalmusikdirektor, in Stuttgart. Sein Operndebüt in Hamburg hatte er mit 21, er wurde bereits genannt, als es um den Posten ging, den dann Nagano bekam. In diesem Sommer sprang Meister, weithin sichtbar, beim neuen Bayreuther „Ring“ ein. Seine Wagner-Leidenschaft verbindet ihn mit Kratzer.

Staatsoper: Braucht es das Schielen auf kostspielige Stars noch?

Der Spanier Pablo Heras-Casado wäre einer jener Hoffnungsträger, die momentan als „up and coming“ betrachtet werden. Von Haus aus eher auf Alte Musik spezialisiert, erweitert er in letzter Zeit seinen Repertoire-Radius immer vielfältiger. Sein unverstellter Blick auf das Thema Oper wäre eine kühne Wahl. In Hamburg nicht ganz unbekannt ist der Italiener Riccardo Minasi.

Das Ensemble Resonanz schätzt ihn, als temperamentvoller Chef der Alte-Musik-Spezialtruppe „La Scintilla“ an der Oper in Zürich könnte er dem Hamburger Haus bei dieser Klangfarbe zu mehr praktischer Kompetenz verhelfen. Minasis zweites Standbein ist das Mozarteumorchester in Salzburg, auch keine ganz schlechte Adresse.

Last but not least at all wäre noch Robin Ticciati als nicht undenkbar zu nennen. In Berlin leitet der Brite das Deutsche Symphonie-Orchester und punktet dort wie andernorts. Andererseits ist er Musikdirektor der Glyndebourne Festival Opera. Einige Männer, für die, wie auch für die Frauen, konkret noch nichts spricht – praktisch aber einiges. Die Wahl haben nun die Findungskommission, der Kultursenator und der Aufsichtsrat der Staatsoper.