Hamburg. Senator Carsten Brosda hat das Geheimnis gelüftet, wer die Nachfolge von John Neumeier als Intendant des Hamburg Ballett antritt.
Das ganze Ballettzentrum ist im Arbeitsmodus – alle Säle sind am Donnerstagmittag belegt. Und so kommt es, dass sich die versammelte Presse, Kulturpolitik und Ballett-Intendanz in die schmale Bibliothek zwängt. Dabei könnte der Anlass kaum größer sein. Die wichtigste anstehende Personalentscheidung des Hamburger Kulturlebens ist gefallen: Der Deutsch-Argentinier Demis Volpi wird neuer Intendant des Hamburg Balletts. Der Aufsichtsrat der Oper hat der Personalie noch am selben Morgen einstimmig zugestimmt.
„Surreal“ findet der Auserwählte diesen Moment und bekundet seine Dankbarkeit für das Vertrauen, diese große Herausforderung zu meistern – auf einen Intendanten John Neumeier zu folgen, der mit seinen rund 170 Balletten ein einzigartiges Repertoire von Weltrang aufgebaut hat.
John Neumeier tritt ab: Demis Volpi übernimmt als Chef des Hamburg Balletts
Für Volpi gilt es nun, dieses zu bewahren und gleichzeitig die choreographische Sprache des hochangesehenen Hamburg Balletts weiterzuentwickeln in eine kreative Zukunft. All das wird erst ab Sommer 2024 geschehen, wenn Volpi seinen Fünf-Jahres-Vertrag antritt. Zuvor ist er gebunden als Ballettdirektor des Balletts am Rhein Düsseldorf/Duisburg. Das bedeutet auch, dass der 83-jährige Neumeier Hamburg dann doch noch ein Jahr als Ballett-Intendant erhalten bleibt.
Er selbst wisse gar nicht genau, wie er damit umgehen solle, so Neumeier. Alle vergleichbaren Größen seiner Zunft, die eine Ära begründet haben – also Marius Petipa und George Balanchine – haben ihr Amt durch das eigene Ableben beendet. „Ich möchte immer noch von 50 Jahren sprechen und einem Epilog“, so John Neumeier. „Was ich weitergebe, finde ich, ist in der Blütezeit seiner Lebendigkeit.“ Die Leitung des Bundesjugendballetts wird ihm auch über das Jahr hinaus erhalten bleiben, um dessen Zukunft zu sichern.
John Neumeier mit Wahl seines Nachfolgers zufrieden
Mit der Wahl seines Nachfolgers ist John Neumeier sichtlich zufrieden. In diese war er zwar offiziell nicht eingebunden, doch hinter den Kulissen habe es das ein oder andere Gespräch zu dem Thema gegeben, gibt ein sichtlich gelöster Carsten Brosda zu. Das Gewicht der Entscheidung dieser Personalie habe ihm durchaus die ein oder andere schlaflose Nacht beschert.
Neumeiers Vorgänger August Everding hatte Neumeier 1973 die Position noch einfach anbieten können, was heute undenkbar ist. Es sei kein gewöhnlicher Prozess gewesen, so Carsten Brosda. Der internationalen Findungskommission, die vor einem Jahr eingesetzt wurde gehörten unter anderem Ted Brandsen, Direktor und Choreograph des Niederländischen Nationalballetts, Tamas Detrich, Intendant des Stuttgarter Balletts, Brigitte Lefèvre, Ballettdirektorin der Pariser Oper, Dorion Weickmann, Redakteurin der Fachzeitschrift „tanz“, Ashley Wheater, Künstlerischer Leiter des Joffrey-Ballet Chicago und Gigi Hyatt, stellvertretende Direktorin und pädagogische Leiterin der Ballettschule John Neumeier an sowie die Aufsichtsratsmitglieder der Hamburgischen Staatsoper Michael Behrendt, Monika Hess, Elke Weber-Braun und Hans Heinrich Bethge, Amtsleiter Kultur der Behörde für Kultur und Medien.
Warum der Demis Volpi "der Richtige" ist
„Es war immer klar, dass wir eine Entscheidung finden wollen, die in der Lage ist, die Traditionslinien des Hamburg Balletts weiterzuentwickeln“, so Brosda. Einen Bruch, also etwas völlig anderes – derartige Versuche hat es in Berlin gegeben – verbannte Brosda als unvernünftigen „Kindergartenglauben“.
„Demis Volpi ist der Richtige nicht nur vor dem Hintergrund seiner Vita aber auch der Sensibilität, mit der er erfasst, was die Compagnie und ihre Arbeit ausmacht und der spezifischen Erwägungen, wie man dieses sehr besondere Erbe behutsam in die Zukunft weiterentwickeln kann“, so Brosda. Dabei gelte es, das Programm um neue choreografische Sprachen, auch um Spannungen innerhalb des künstlerischen Programms zu erweitern, um tatsächlich eine Evolution des Hamburg Balletts in den kommenden Jahren organisieren zu können.
Demis Volpi in Buenos Aires geboren
Lloyd Riggins, Stellvertreter John Neumeiers, wird dieses Position weiterhin innehaben und sich insbesondere um die Weiterentwicklung und das Bewahren der Choreographien Neumeiers kümmern. Die Rechte an dem Neumeier-Werk verbleiben bei der Staatsoper und sind Gegenstand eines Vertrages, der kurz vor Unterschriftsreife stehen soll.
Und wer ist nun der Neue? Noch sitzt Demis Volpi im dunklen Anzug fast ein wenig scheu auf dem Podium zwischen John Neumeier und Carsten Brosda. Sympathisch und bescheiden wirkt er. 36 Jahre ist er alt – 50 Jahre in Hamburg wären also drin. 1985 wurde er in Buenos Aires geboren. Seine Ausbildung erhielt er am Instituto Superior de Arte des Teatro Colón, außerdem an der Canada’s National Ballet School in Toronto und an der John Cranko Schule in Stuttgart. Er war Tänzer im Stuttgart Ballett und später Hauschoreograf.
Volpi seit 2020/21 Ballettdirektor am Ballett am Rhein
Seit der Saison 2020/21 ist er Ballettdirektor und Chefchoreograf am Ballett am Rhein, wo er bislang allerdings auf eine eher gemischte Reaktionen stieß. „Was John Neumeier hier in den letzten 50 Jahren geschaffen hat, hat Auswirkungen auf den Tanz weltweit“, so verbeugt sich Volpi vor seinem Vorgänger. Es gebe nun viele Dinge, über die man nachdenken müsse. „Ich habe in den letzten Jahren sehr viele Arbeiten anderer Kollegen kuratiert. Ich sehe meine choreographische Sprache als einen Teil des Neuen aber nicht als das einzige. Es wird sich sicherlich eine Mehrsprachigkeit ergeben hier in der Compagnie.“
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Die Aufgabe wird keine kleine sein. Volpi muss den Spagat zwischen Tradition und Innovation bewältigen und dabei den besonderen Geist der Compagnie bewahren, die sehr eingeschworen ist auf John Neumeier. Allerdings ist hier zuletzt eine neue, junge Tänzergeneration herangewachsen, die auch eine Offenheit für Neues und eine neue Vielfalt mitbringt.
John Neumeier tritt ab: Volpi eine gute Wahl für Hamburg
Seine Erfahrungen in Hamburg sind bislang noch gering. Volpi hat mit der Ballettschule John Neumeier „Der Karneval der Tiere“ erarbeitet. Außerdem mit dem Bundesjugendballett das Gastspiel „The Little Match Girl Passion“ beim Podium Festival in Esslingen präsentiert. Aber Demis Volpi ist ein Erzählerr, einer, der Handlungsballette liebt und in der Neoklassik zu Hause ist. Damit könnte er tatsächlich eine gute Wahl für Hamburg sein.