Hamburg. Die Münchner Philharmoniker spielten Wagner, Rachmaninow und Brahms. Ein großartiger Abend mit einem Wermutstropfen.
Seit seinem Abgang als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters ist Thomas Hengelbrock vielfach nach Hamburg zurückgekehrt. Am Pult seiner auf Originalklang spezialisierten Balthasar Neumann Ensembles hat er bei der Disziplin angeknüpft, mit der er seine Karriere begonnen hatte. Nun hat er in der Elbphilharmonie die Münchner Philharmoniker bei ihrem zweiten Tournee-Abend dirigiert: Großes Orchester mit großer Tradition (zwei Jahrzehnte lang stand ihm der mythenumwobene Sergiu Celibidache vor), der historisch informierten Spielweise vollkommen unverdächtig.
Das Erstaunliche: Überraschungen der unangenehmen, weil belehrenden Art bleiben aus. Hengelbrock stülpt den Musikern nichts über. Über das ganze – schön tourneetauglich konfektionierte – Programm hinweg entfaltet das Orchester seinen berückenden Klang.
Hengelbrock arbeitet das Peitschen des Sturms heraus
Die Ouvertüre zu Wagners „Fliegendem Holländer“ klingt hochkultiviert, lebendig und kein bisschen effekthascherisch. Hengelbrock arbeitet das Peitschen des Sturms, das Schäumen der Wellen heraus, insgesamt jedoch könnte diese hochkomprimierte Musik durchaus noch etwas kreatürlicher daherkommen.
Eine ganz andere Klangwelt betreten die Beteiligten mit dem ersten Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow, einem Jugendwerk, das bereits die Handschrift des Komponisten trägt: lyrisch und von einer Virtuosität, die sich nie in den Vordergrund drängt. Der junge Pianist Alexandre Kantorow verwandelt sich dieser Welt mit mildem, singendem Ton an, er lässt sich aber von der Vollgriffigkeit seines Parts kein bisschen einschüchtern und hält mit allen zehn Fingern gegen die einleitenden Blech-Fanfaren.
Orchester und Solist hören einander aufmerksam zu
Es geht unter die Haut, wie Orchester und Solist sich miteinander auf die feinen Verzögerungen und Beschleunigungen einlassen, wie sie aufmerksam einander zuhören. Vom Klangfarbenzauber der Bläser im Andante könnte man träumen.
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Nach der Pause: Brahms’ Erste, Hamburger Hausgut. Die Paukenschläge und Kontrabass-Attacken am Anfang treffen mitten ins Herz. „Un poco sostenuto“, also etwas zurückgehalten, ist das nicht, Hengelbrock drängt und entlässt auch im folgenden Allegro niemanden aus der Spannung. Die Musik atmet, die Musiker weben gemeinsam an dem komplexen Gebilde, aus dem immer andere Stimmen hervortreten. Beseelt und warm klingt das, nach innerer Beteiligung.
Hengelbrock: Publikum hört ergriffen zu
Das Publikum hört spürbar ergriffen zu. Umso ärgerlicher, dass zwischen den Sätzen immer mal Applaus aufkommt, der die Atmosphäre zerreißt und im Nachgang die Erinnerung an dieses großartige Konzert trübt.