Hamburg. Die Wagner-Premiere von Kent Nagano und Michael Thalheimer lief musikalisch auf Grund. Einen Pluspunkt gab es trotzdem.
Von wegen Sturm und Drang, hat sich was mit erschreckendem Wellengang und überschäumender Spannung. Kent Nagano lässt die maritime Thriller-Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“, an sich randvoll mit packenden Details, eher ins harmlos Beschauliche verplätschern. Und nicht nur sie. Meeresstille und allzu glücklose Fahrt statt bittersalziger Vorgeschmack auf die heranrauschende Tragödie um einen verfluchten Kapitän und seine Suche nach Erlösung.
Das könnte ja auch um eine Ecke gedachte Absicht sein, denkt man sich zunächst, während die Musik kaum von der Stelle kommt, womöglich möchten Nagano und sein Regisseur Michael Thalheimer den Horror des Plots ganz gründlich und damit umso eindringlicher einsickern lassen. Doch leider nimmt dieses romantisch veroperte Schauermärchen, eine Art „Freischütz“-Cousin mit Seemännern und Wellentälern statt Wolfsschlucht als Grusel-Chiffren, erst sehr spät, viel zu spät doch noch Fahrt auf.
Kent Nagano trat 2015 als Neuling in Hamburg an
Es dauert, dauert bis zum Seemannschor im dritten Akt, nach dem endlich Drive und Dramatik zu erleben ist und auch das Ensemble auf Touren kommen kann. Falls das sämige Wagnern auf Zeit Absicht war, ging sie daneben. Wenn nicht, wäre auch das nicht schön.
Als Generalmusikdirektor Kent Nagano und Intendant Georges Delnon 2015 in Hamburg als die Neuen antraten, wuchtete ihnen Thalheimers Bühnenbildner Olaf Altmann eine sehr thalheimernde Inszenierung von Berlioz’ Sandalen-Epos „Les Troyens“ auf die Bühne, mit einer einzigen, packenden, passenden Verbilderungs-Idee, die alles und jeden binden und stützen sollte: ein riesiges Tor, über das immer wieder Blut als archaischer Treibstoff des Dramas um Troja hinablief.
Kein Hafen, kein Holländer-Bild, keine Spinnstube
Jetzt hat Altmann für Thalheimer diesen schnittig kurzen, pausenlos gespielten Wagner konsequent komplett entleert: natürlich kein Schiff, natürlich nicht eine einzige Welle oder eine Andeutung von rustikalem Seemannsgarn, kein Hafen, kein Holländer-Bild, keine Spinnstube. Nur noch ein schwarzes, finsteres Höllenloch, vor dem sich – dekorativ und immer wieder mit interessanten Lichtreflexen aufwartend – 1000 transparente Perlonfäden als Gitter-Vorhang und Schicksals-Takelage legen. Weitere Requisiten: eine Portion Goldglitter und etliche Müllsäcke mit leicht dubiosem Verwendungszweck.
Nur unter Mühen ist das Durchkommen durch diese Raumteiler möglich, wer zum Singen in gequält verrenkten Posen nach vorn an die Rampe will oder muss, muss sich dort hindurchschlängeln, bleibt hängen, benötigt mehrere Anläufe. Rilkes „Panther“, der aus dem Gedicht mit den tausend Stäben und keiner Welt dahinter, lässt fies grüßen.
Thomas J. Mayer geht in der Rolle des Holländers auf
Mit Thomas J. Mayer als bayreuth-bewährtem Holländer kann man nur sehr wenig falsch machen; die Rolle liegt ihm und seiner Stimme, das bedrohlich Brachiale steht ihm bestens und wird durch seine Aufmachung noch betont: Optisch ist er eine gelungene Kreuzung aus einem Marvel-Comic-Schurken und „Grumpy Johnny“, der ebenso übellaunigen wie gut durchtrainierten Wrestling-Version von Johannes Brahms. Darstellerisch wird Mayer von der Regie vor allem in die Fäden gehängt, als Schwarzer Witwer, der liebeshungrig aufs nächste Opfer lauert.
Senta ist es, die ihn und seine Mannschaft aus wild zappelnden Zombies vor dem Dauerirren über die Meere retten soll. Nach ihrer Elisabeth im neuen Hamburger „Tannhäuser“ im April ist Jennifer Holloway für diesen Part wieder zurück. In ihrem Rollen-Debüt als Senta muss sie aber ebenso wie Mayer gegen die zähe, allzu statisch starre Masse aus dem Graben ankämpfen. Ihre Senta ist von Anfang an draußen vor, eine schwer traumatisierte Einzelsingerin, von allen anderen Frauen gemobbt, unfähig zu einer klaren, aufrechten Haltung, weil ihr das Leben wohl schon etliche Nacken- und andere Tiefschläge verpasst hat.
Kent Nagano: Publikum merklich unzufrieden
Auch ihre Ballade will deswegen noch nicht recht wirken; nachdem der Seemannschor-Knoten geplatzt ist, überdreht sie scharf, als ob sie das Verpasste im Schnelldurchlauf nachholen möchte. Warum diese Senta sich während der Ouvertüre aus einem ersten Müllsack zu befreien hat wie das Küken aus seinem Ei, um im Finale mit einem zweiten Sack Erstickungs-Suizid zu begehen? Das könnte Gründe haben, gute womöglich sogar, allerdings keine, die sich sofort erschließen.
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Benjamins Bruns’ Erik ist ebenso solide wie Kwangchul Youn als Daland und Peter Hoare als Steuermann. Bliebe noch der hauseigene Chor als ein Pluspunkt des Abends, der durch den Herrenchor der Staatsoper Kiew wuchtig verstärkt wurde – die Extra-Stimmen sorgten dafür, dass diese Szenen zum lautstärksten Abschnitt der Inszenierung wurden. Den Einsatz von Taschenlampen, als ginge es um Halloween-Spuk im Kinderprogramm, hätte es an dieser Stelle allerdings nicht gebraucht. Die Unzufriedenheit des Publikums mit Regie und Dirigat war am Ende der Premiere als steife Gegenwind-Brise unignorierbar.
Weitere Termine: 26. / 29.10. , 1. / 4. / 8. / 13.11. Benefizkonzert des Herrenchors der Nationaloper Kiew: 30.10., 15 Uhr, Staatsoper. Eintritt frei, Spenden für die Zivilbevölkerung der Ukraine erbeten, Karten online buchbar.