Hamburg. Nagano eröffnet die Philharmoniker-Konzertsaison mit Mahlers Sechster in der Elbphilharmonie. Beifall war enorm.
Irgendwann könnte es auch mal gut sein mit dem ständigen Wechselbad, mit dem trotzigen Aufbäumen und dem Kollabieren. Mit den trügerischen Hoffnungsmomenten auf der hineinkomponierten Einsiedler-Alm mit ihren idyllisch bimmelnden Glocken, wo es kurz tatsächlich keine Sünde gibt. Mit dem Herumirren im Irgendwo, bis schon wieder die nächste kleine Panikattacke dazwischenfährt. Ist es aber nicht, und das etwa 80 nervenaufreibende Minuten lang.
Mahlers Sechste ist nichts für schwache Nerven, für schwächelnde Orchester und Dirigenten schon gleich gar nicht. Dass Generalmusikdirektor Kent Nagano ausgerechnet mit dieser Mahler-Sinfonie, die so unfassbar und so verbohrt verschlossen ist wie wohl keine der anderen, in die Philharmoniker-Konzertsaison startet, darf auch als Bekenntnis verstanden werden, als gemeinsame Mutprobe. Als das Stück auf den Spielplan gesetzt wurde, war die Welt eine andere. Jetzt und so gehört, wird der letztlich ziemlich trostlose Kraftakt noch garstiger, noch visionärer. Noch anstrengender und gegenwartsnaher.
Elbphilharmonie: Kent Nagano mit Mahlers Sechster im Großen Saal
Die Bühne im Großen Saal der Elbphilharmonie war randvoll belegt; Streicher bis zum Horizont, extragroße Bläserbesetzung, Schlagzeug satt, acht Hörner, vier Harfen (zum berühmt-berüchtigten Hammer für die gern herbeiorakelte Vertonung der zwei bis drei Schicksalsschläge für Mahler kommen wir später).
Dieses häuserblockgroße Stück Musik wieder und wieder in eine andere Richtung zu lenken als jene, in die es komponiert wurde, würde Riesen-Kräfte verlangen. Wer sich ohne Not damit anlegt, würde verlieren. Nagano ist erfahren und alle gemeinsam sind frisch genug, um sich nicht auf vermeidbaren Risiken bei Übergrößen einzulassen. Spielen, was ist, dort Akzente, Glanzlichter setzen, wo sie hingehören, das genügt.
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Elbphilharmonie: Nagano ist für Pathos nicht zu haben
Für ausgewalztes Pathos war Nagano beim ersten Durchlauf vor ausverkauftem Haus nicht zu haben. Er ging mit Schwung ins Allegro energico, ließ die Muskeln des Klangkörpers spielen, teilte die Kräfte ein, die noch einiges mitmachen mussten. Dazu gehörte, dass er episodisches Erarbeiten zunächst vermied.
Die Temperaturwechsel des Geschehens verliefen bei ihm organisch ineinander, es wurde für Übergänge und Zäsuren nicht gebremst oder innegehalten. Stellenweise war das schade, weil Brüche so auf kleinere Risse reduziert wurden.
Die Uhr tickt in dieser Sinfonie, sie treibt in den Außensätzen alles straff marschierend voran. Der vorherrschende Eindruck von Naganos Perspektive war: nicht unterkriegen lassen. Im Andante allerdings blieb seine Sicht auf den Charakterkern der Musik blass und leicht anämisch. Hier dürfte gelitten werden, hier gäbe es Tränendrüsen zum Drücken. Es schien Nagano nicht allzu sehr zu interessieren, die Stimmung blieb zartbitter, aber zu unverträumt und nüchtern.
Elbphilharmonie: Kent Nagano eröffnet die Philharmoniker-Konzertsaison
Das Scherzo nahm einen langen, anstrengenden Anlauf ins Finale, voller schroffer Sarkasmus und immer neuen Täuschungsmanövern. Und doch war noch genügend Kondition vorhanden, um sich mit den Herausforderungen anzulegen. Die Schärfe in der Darstellung der Details hielt sich klar und prägnant, während sich, Runde um Runde bitterer werdend, Mahlers Weltverlorenheit tiefer ins Abseits schraubt.
Einfall-Reste aus dem Vorangegangenen flackern auf, Einzelinstrumente versuchen sich über große Entfernungen hinweg in ein Gespräch zu verwickeln, während das größere Ganze des Satzes auf die Schläge des Hammers abzielt. Diese sich steigernden Schläge waren leider zu secco, um wirklich und gründlich durch Mark und Bein zu gehen. Doch womöglich war auch diese Spezial-Effekt-Entzauberung eine von Naganos Absichten. Der Beifall war enorm.
Das Konzert wird am kommenden Dienstag, 20 Uhr, wiederholt, evtl. Restkarten an der Abendkasse