Phil Collins, der sein “Baby“, das Musical “Tarzan“, mit der Deutschlandpremiere auf die Bühne der Neuen Flora brachte, hätte als Privatperson einen klaren Favoriten für diesen Abend gehabt: „Ich wäre definitiv zum Fußball gegangen“, sagte der ehemalige Genesis-Frontmann und sprach von der Begegnung HSV gegen Schalke. Für alle anderen war es nicht so einfach: “Tarzan“ oder “Die Walküre“, zumindest das war hier die Frage.

Hamburg. Viel Beifall für das Ensemble und die Philharmoniker, auch Buhrufe für Generalmusikdirektorin Simone Young, vor allem aber für das Regieteam Claus Guth/Christian Schmidt: Die gestrige, mit viel Spannung erwartete Premiere von Wagners "Walküre" an der Hamburgischen Staatsoper sorgte beim Publikum für heftige Reaktionen, und das in beide Richtungen. Kein Wunder, denn Guth präsentierte eine Version, die über weite Strecken kühl und berechnet daherkam, die das Drama um Macht, Liebe und Widerspruch auf seinen Kern reduzierte, die es als Versuchsanordnung höherer, aber hilfloser Mächte darstellte.

Kurz nach 17 Uhr war Young vor den Vorhang getreten, mit dem "Meistersinger"-Zitat "Mir schwant nichts Gutes". Sechs Stunden zuvor hatte man erfahren, dass Wotan Falk Struckmann wegen akuter Grippe ausfallen würde. Er könne nur spielen, für ihn werde das Ensemblemitglied Thomas J. Mayer von der Seite singend einspringen. Eine Riesenchance, ein Riesendruck.

Video: Thomas Mayer - vom Aushilfs-Wotan zum Star der "Walküre"

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Besonders der erste Akt war sehr reduziert: Ein kurzes Vorspiel und fast nichts im Bühnendunkel. Zu sehen ist ein riesiger Leuchttisch, eine nüchterne, ernüchternde Labor-Anordnung. Das Experiment soll beginnen. Bühnenbildner Christian Schmidt liefert dazu das Nötigste: einen Herd, Küchentisch und -stühle und einen offenbar aus Welteschen-Holz gefertigten Türrahmen, der sich wie von Gespensterhand hin- und her bewegt und aus dem Siegmund dann das geschickt dort platzierte Schwert Nothung ziehen kann.

Youngs Dirigat war vom ersten Akt an stringent und dramatisch mitdenkend, die Philharmoniker waren sofort auf Betriebstemperatur. Stuart Skelton punktete insbesondere mit seiner symbolischen Wettervorhersage. Yvonne Naefs Sieglinde hatte mit einigen Spitzentönen zu kämpfen und konnte nicht recht mithalten. Mikhail Petrenko kam in seiner Rolle als gehörnter Hunding etwas zu freundlich daher.

Der zweite Akt: Struckmann bewegte als Wotan nur die Lippen und überbetonte dabei seine Gestik, Gesangsersatz Mayer nutzte seine Chance von links. Eine Stimme mit viel Potenzial, der man aber die Last des Moments anhörte. Fricka (Jeanne Piland) keifte ordnungsgemäß, doch unspannend. Der erste Auftritt von Deborah Polaski als Brünnhilde war noch unspektakulär, ihre Klasse kam bei der Todesverkündung zur Geltung. Skelton legte dort als Siegmund noch mächtig zu, bevor ihn sein Schicksal ereilte. Brünnhilde, die Befehlsverweigerin, floh von der leer gefegten Bühne mit Sieglinde vor dem Zorn ihres Vaters.

Der letzte Akt zeigte den Walküren-Felsen als Brutstätte geklonter Kellerkinder, wo Brünnhilde von ihrem Vater liebevoll hinter dem Feuerzauber zur Langzeitruhe gebettet wurde. Mayer holte hier das für ihn Bestmögliche aus Wotans Endspurt - und wurde dafür, wie auch Polaski, ohne Wenn und Aber gefeiert.

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