Eine Hamburg-Premiere war sie nicht, die Übernahme aus den Münchner Kammerspielen, aber ein Gütesiegel für Thalia-Oberspielleiter Luk Perceval.

Hamburg. Wer nach der Vorstellung noch im Mittelrangfoyer des Thalia-Theaters ein Premieren-Bockwürstchen aß und einen Sekt dazu trank, konnte sich auch anhand der dort ausgestellten Schauspieler-Porträts überzeugen: Die "Othello"-Inszenierung des neuen Thalia-Oberspielleiters Luk Perceval, eine freundliche Übernahme aus den Münchner Kammerspielen, wo die Inszenierung bereits 2003 Premiere feierte, fügt sich perfekt in die Ästhetik der theatereigenen Corporate Identity.

Schwarz und weiß sind die Fotografien des neuen Ensembles, schwarz und weiß das unter dem neuen Intendanten Joachim Lux leicht veränderte Thalia-Logo, schwarz und weiß das Spielzeitheft und die Programme, schwarz und weiß halten auch "Othello"-Bühnenbildnerin Katrin Brack und Kostümbildnerin Ursula Renzenbrink ihre Ausstattung.

Brack lässt die Bühne weitgehend leer, ein schwarzes Loch, aus dem das grellweiße Licht von Max Keller die Akteure hart von hinten ausleuchtet. Im Mittelpunkt zwei kopulierende Pianos, der weiße Flügel liegt auf dem Rücken, der schwarze, an dem Jens Thomas spielt, zupft, schlägt, schreit, steht darüber, schon dieses Bild ein Vorwegnehmen der Konstellation Desdemona/Othello. Ausgerechnet der eifersüchtig rasende Mohr kommt hier freilich ganz ohne Schuhcreme aus: Thomas Thieme, dieser dampfende Berserker, ist auch als Othello unzweifelhaft weiß. Im Theater aber reicht die Behauptung, und ein äußerlicher Außenseiter ist Thieme durch seine Leibesfülle auch so. Er ist ein unglaublicher Othello, der in Julia Jentsch, der blonden, sanften, spielerischen, kindlichen, als Desdemona einen perfekten Gegenpart findet.

"Schoko" nennt sie ihn zärtlich - richtig, kein Originaltext, Shakespeare hat es gegen die sprachlichen Modernisierer Feridun Zaimoglu und Günter Senkel nicht so einfach. Reichlich Fäkalsprache der Gegenwart ergießt sich über die Bühne, Feridun Zaimoglu, bekannt geworden schließlich durch sein Buch "Kanak Sprak", lässt die Gosse in den Text und erfindet so einen ganz eigenen Soziolekt, es wird "gefickt", als gäbe es kein Morgen, Liebe sei etwas "für arschgeile Penner", Zypern "is' geil, was?", und wenn jemand hinterlistig agiert, so heißt es hier: "Am Arsch, der Charakter, Alter."

Oje, Igitt-Theater? Explizit ist diese Version ohne Frage, jedoch auch selbstironisch, Luk Perceval lässt seine Darsteller mit eben diesem Tabubruch spielen. Als Jago an einer Stelle achselzuckend "Kann man doch machen" sagt, gibt es Zwischenapplaus.

Überhaupt, die Schauspieler. Sie füllen den schwarz-weißen Raum mit den nötigen Grautönen. Auch ihretwegen, vor allem ihretwegen, muss man diesen "Othello" gesehen haben. Das Ensemble ist fantastisch aufeinander eingespielt. Der in seiner körperlichen Brachialität rührende Thieme und die atemberaubend unverstellte Jentsch, Bernd Grawert als ein unheimlich präsenter, ebenfalls sehr körperlich agierender Rodrigo und Wolfgang Pregler als fabelhaft bösartiger Jago, der nicht ein einziges Mal platt den Fiesling spielt, sondern so glaubhaft und begabt intrigiert, dass es einen beim Zusehen fröstelt.

Der Pianist Jens Thomas in ihrer Mitte verausgabt sich bis zur physischen Erschöpfung am Flügel und unterstreicht geräuschvoll die blank liegenden Emotionen. "So ein Flügel klingt wie ein Tier", wird Regisseur Perceval im Programmheft zitiert - besser kann man diese Einheit aus Spieler und Instrument tatsächlich kaum beschreiben.

Dieser "Othello" ist einer der intensivsten und wahrhaftigsten Theaterabende. Es ist nicht nur legitim, dass Joachim Lux diese Vorstellung für seinen Spielplan einkauft, es ist auch ein künstlerisches Statement, an dem sich die kommenden Inszenierungen, sein eigener Spielplan, werden messen lassen müssen.

So aufregend kann Schwarz-Weiß sein.

Othello läuft am Thalia-Theater wieder am 20. September, 19 Uhr, am 24. und 26. Oktober um 20 Uhr. Karten unter Tel. 32 81 41 11